Seit gut zwei Jahren steht er auf der Fensterbank in meinem Arbeitszimmer und schaut von dort in den Himmel, der kleine Dreidecker aus Blech und Draht. Eine Freundin hatte ihn seinerzeit aus einer Mulde am Straßenrand gefischt. „Weil du doch alte Flugzeuge so magst“, hatte sie gesagt und mir den Flieger überreicht.
Ich mag alte Flugzeuge, da hatte die Freundin recht. Und dieses Exemplar hier war ein besonders altes und schönes, kein Zweifel: Ungefähr so groß, dass es in einen Schuhkarton passt. Gebaut und gebogen und gelötet aus Blech und Draht, später bunt angemalt, der winzige Motor aus Schrauben und Nägeln, nur der etwas klobige Propeller aus rotem Holz. Nach kurzer Recherche im Internet war klar: Das kleine Flugzeug mit den markanten Kufen war einem Dreidecker des britischen Herstellers Alliott Verdon Roe (kurz „Avro“) nachempfunden, Baujahr 1909.
Was ich ein wenig bedauerlich fand: Ich wusste überhaupt nichts zur Geschichte dieses kleinen Nachbaus. Und wer ist oder war der Mensch, der ihn mit so viel Liebe erschaffen hat? „Kannst ja mal dort nachfragen, wo die Mulde stand“, schlug die Freundin vor. „Vielleicht können die Dir was dazu erzählen.“ Kein schlechter Tipp.
Zwei Jahre sollten noch vergehen, aber jetzt stehe ich – mit dem „Avro Triplane“ in der Hand – tatsächlich vor besagter Haustür und drücke auf den Klingelknopf. Eine Frau mittleren Alters öffnet. „Guten Tag, nicht erschrecken, ich…“. Weiter komme ich nicht. „Das Flugzeug kenne ich doch! Wo haben Sie das denn her?“, ruft die Frau. Nicht unfreundlich, aber ziemlich laut und überrascht. Ich erkläre ihr, wie ich in den Besitz des Dreideckers kam – und warum ich nun damit vor ihrer Haustür stehe.
Die Frau versteht. „Dazu kann ich Ihnen aber gar nicht so viel erzählen“, sagt sie. „Den hat Onkel Heini mal gebastelt, mein Großonkel. Das müsste irgendwann in den 50er oder 60er Jahren gewesen sein. Ich kenne die Geschichte auch nur von meiner Mutter.“
Onkel Heini, so erzählt sie weiter, sei ein großer Flugzeug-Fan gewesen. Er habe wohl immer davon geträumt, Pilot zu sein, „aber hat nie geklappt“, so die Frau an der Haustür. „Sieh an“, geht es mir durch den Kopf. „Onkel Heini war also so eine Art Seelenverwandter.“
Mit dem Dreidecker nach Mallorca
Und der Frau fällt noch etwas ein: „Irgendwann – ich glaube, das war schon in den 70ern – hat er das Flugzeug sogar mal mit nach Mallorca genommen.“ Und warum? „Um später erzählen zu können, dass er mal mit einem alten Dreidecker nach Mallorca geflogen ist. Stimmte ja auch irgendwie“, erzählt die Frau und lacht. Ich lache auch. So eine Idee könnte auch von mir kommen.
„Und warum ausgerechnet ein britisches Flugzeug?“, frage ich. „Hatte er britische Freunde?“ Die Frau zuckt mit den Schultern. Dann schaut sie auf den Flieger. „Jetzt tut es mir schon fast leid, dass ich das Flugzeug weggeschmissen habe – aber wir mussten hier einfach mal Ordnung schaffen“, sagt sie.
Ich schlucke. „Wollen Sie es vielleicht doch wieder zurück haben?“, frage ich – natürlich in der Hoffnung, dass sie das nicht will. „Nein“, sagt die Frau. „Ich glaube, bei Ihnen ist es in ziemlich guten Händen.“ Ein Glück.
Bei mir ist der Flieger in ziemlich guten Händen, das glaube ich auch. In die Mulde kommt er ganz bestimmt nicht. Vielleicht nehme ich ihn sogar mal mit in den Urlaub – damit auch ich später erzählen kann, dass ich mal mit meinem eigenen Dreidecker in den Urlaub geflogen bin. Bis dahin steht „Onkel Heini“ – so nenne ich den Kleinen jetzt – auf meiner Fensterbank im Arbeitszimmer und schaut von dort in den Himmel.
Meiko Haselhorst
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