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Ein Rolli-Fahrer will hoch hinaus

Carsten Tölle ist 55 und sitzt im Rollstuhl. Das hält ihn nicht davon ab, das Fliegen zu lernen. Ein eigenes UL hat er sich auch schon zugelegt.

2.09.2024

Schon jetzt fühlen sich Carsten Tölle und Maurice Quentmeier am Flugplatz Vennebeck vor einem Ultraleichtflugzeug sehr wohl. © Franz-Josef Edinburg

Wenn man Carsten Tölle auf seinen fahrbaren Untersatz anspricht, hat er immer eine gute Antwort parat: „Es gibt Dinge, die ich nicht kann: Auf einen Baum klettern und über Mauern springen zum Beispiel. Aber mal ganz ehrlich: Wie oft hast du das in den letzten zehn Jahren gemacht?“ Die Antwort in den allermeisten Fällen: „Nicht so oft.“ Sei’s drum – mit Mauern oder Bäumen gibt sich Tölle ohnehin nicht zufrieden. Er will höher hinaus. Viel höher. Carsten Tölle will fliegen. Und im Moment lernt er’s. Noch in diesem Herbst, so der feste Plan, hält er seine Lizenz in den Händen.

Ein Blick in die Vergangenheit: Im Alter von 19 Jahren erleidet Tölle als Motorradfahrer nach einem Zusammenstoß mit einem Traktor eine inkomplette Querschnittslähmung. Anstatt lange mit seinem Schicksal zu hadern, schmieden er und sein Vater schon im Krankenhaus die ersten Pläne, wie ein Kart für ihn umgebaut werden könnte. Denn das ist seine große Leidenschaft: Mit Tempo 300 eine Handbreit über dem Asphalt um die Kurven zu rasen. Mit dem Kart hatte er später sogar einen Stunt-Auftritt in der RTL-Fernsehserie „Alarm für Cobra 11“.

Auftritt bei Alarm für Cobra 11

Zu jener Zeit konnte er sich noch mit Gehhilfen fortbewegen. „Das war beschwerlich, ging aber. Und ich konnte auch noch mit einem für mich umgebauten Motorrad fahren. Da habe ich, als ich vom Motorrad stieg und mir die Gehhilfen schnappte, in der Eisdiele auch meine Frau Claudia kennengelernt“, erzählt er. Mit der hatte er – nach einem Ausflug in den Tourenwagensport – auch ein eigenes Rennteam. „Mit zwei Wagen für die anderen Fahrer und einem für mich.“

„Dann“, so sagt er rückblickend, „passierte lange nichts.“ Bis er mit dem Modellfliegen anfing. Später dann auch mit ferngesteuerten Hubschraubern. Das hat ihn fasziniert. „Modellfliegen ist eine klasse Sache. Irgendwie ist es aber auch doof, auf der Erde zu bleiben und den Dingern hinterherzusehen. Andersrum wäre besser.“ Das war der Stand Anfang der 2010er Jahre.

2015 stieß Carsten Tölle zum Spenger Schützenverein. Als Sportschütze erzielte er ordentliche Erfolge. Im zweiten Jahr seiner Mitgliedschaft wurde er sogar Schützenkönig. „Aber ich habe immer eine weitere Herausforderung gesucht“, erklärt der Rolli-Fahrer. Im Februar kommenden Jahres will er als zweiter Vorsitzender der Spenger Schützen zurücktreten. „Ich möchte mich mehr aufs Fliegen konzentrieren. Wer weiß, ob ich das in zehn Jahren noch machen kann. Und die Zeit möchte ich nutzen.“

Eine Dokumentation war der Auslöser

Dabei ist Tölle in Sachen Flugsport ein Späteinsteiger. 2023 hatte er im Fernsehen eine Dokumentation über einen Sportflieger im Rollstuhl gesehen. Er machte ihn in den sozialen Medien ausfindig und schon drei Tage später fuhr er zum Flugplatz nach Kassel, um mit ihm zu sprechen. „Flieg doch mal mit“, hieß es dann. Und schon war es um Carsten Tölle geschehen. Begeisterung pur. Der Ultraleichtflieger hatte es ihm angetan. „Die Füße für die Pedale braucht du nicht. Damit werden die Seitenruder und das Bugrad bedient. Das kann man umbauen“, hieß es.

Der Engeraner war angefixt. „Das muss auch bei mir gehen“, sagte er sich. Als er im Schützenverein von seiner neuen Leidenschaft berichtete, war auch sein Schützenbruder Maurice Quentmeier begeistert. Die beiden fassten den Entschluss, den Flugschein zu machen.

Aus einer Comco Ikarus C42 kann Carsten Tölle selbst aussteigen. Das gelingt bei vielen anderen Flugzeugen nicht. © Franz-Josef Edinburg

Doch davor stand zunächst die Theorie. In neun Tagen büffelten die beiden bei einem Seminar in einem ehemaligen Kloster in Hofgeistmar. Tölle: „Neun Tage nur lernen. Ohne Unterlass. Das war hart.“ Und dann stand die viereinhalbstündige Prüfung in neun Fächern an. „Das war ein Hardcore-Programm.“ Aber eines, das sich lohnte: Beide bestanden. Vor gut einem Jahr hatten sie die theoretische Prüfung in der Tasche. „Dann haben wir uns ganz aufs Fliegen konzentriert.“ Jeder habe seine Flugstunden in Kassel-Calden absolviert. Zudem noch in einem zweitägigen Lehrgang in Köln das Funkzeugnis gemacht.

Und dann kam der große Unterschied: Während der „normale“ Flugschüler von einem „normalen“ Fliegerarzt untersucht wird, dauere das bei einem Rolli-Fahrer wesentlich länger. Und sei viel aufwendiger. „Die ganze Sache“, sagt Tölle, „mit den speziellen Untersuchungen hat sich sechs Monate hingezogen. Aber dann kam das Okay.“

Und jetzt wartet Carsten Tölle „voller Vorfreude“ auf die Prüfung  zur Lizenz als Luftsportgeräteführer. Dass er die besteht, ist für ihn ziemlich klar. Und er hat mit Maurice Quentmeier vorausschauend bereits eine Haltergemeinschaft gegründet und natürlich auch schon ein gebrauchtes Flugzeug gekauft, eine Comco Ikarus C42. Das sei für beide ideal: „Ich als Rentner seit 1987 habe in der Woche Zeit und Maurice muss noch arbeiten. Der kann hauptsächlich am Wochenende fliegen.“

Tölle ist auch schon in den Aero-Club Bad Oeynhausen-Löhne eingetreten. Dessen Mitglieder fliegen auf dem Platz in Porta-Westfalica/Vennebeck. „Das ist für uns sehr nah und deshalb optimal.“ Wenn er jetzt noch einen Stellplatz für das Flugzeug dort finde, sei sein Glück komplett. „Auf einen Berg kann ich nicht mehr steigen“, sagt er. „Aber mit dem Flugzeug drüber fliegen, das geht.“  Und auch über Bäume und Mauern.

Franz-Joseph Edinburg

 

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