Homepage » General Aviation » Lockheed Electra: Der Traumvogel

In die „Lockheed 12A Electra Junior“ hatte sich unser Autor schon vor Jahren verguckt. Jetzt endlich ergab sich die Gelegenheit für einen Mitflug. Allerdings lief alles etwas anders als gedacht.

20.06.2024

Im Gras liegen und träumen. Die Tür ist offen. Man könnte jederzeit einsteigen und losfliegen. © Meiko Haselhorst

Allein schon dieses Doppelleitwerk. Und die beiden Sternmotoren. Und das Spornrad. Und dann diese silbern glänzende Außenhülle…  Als ich die Electra vor einigen Jahren zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, war ich hin und weg. Erst recht, als der Pilot die Motoren anschmiss. Als sich das Flugzeug mit seinem satten Sound an mir vorbei und in Richtung Startbahn schob, erahnte ich zwischen den Gardinen in den Fenstern die Gesichter der Passagiere. Für mich sahen sie in jenem Moment alle aus wie Vivien Leigh und Clark Gable. Und im Cockpit saß ein Typ, der sah aus wie James Stewart. „Da möchte ich auch mal mitfliegen“, dachte ich voller Sehnsucht. Und nun war die Gelegenheit endlich gekommen.

Lockheed Electra Junior

„Morgen um 6.30 Uhr ab Hannover“, hatte mir Pilot Yannick am Vorabend geschrieben. Unser Ziel: Die Historical Airshow in Mladá Boleslav/Tschechien. Pünktlich um 6.15 Uhr stehe ich am Samstagmorgen vor der Tür am Hangar von „ArtDeco Aviation“. Ich bin etwas müde, die Nacht war kurz. Mein Flug mit der Electra verschiebt sich noch mal: „Wenn das für dich okay ist, fliegt du auf dem Hinweg in der Spartan mit – und auf dem Rückweg in der Electra“, sagt Yannick. Soll mir recht sein – die Spartan 7W Executive ist ja auch ein wunderschönes Flugzeug.

Das finden auch die Tschechen, die uns keine zwei Stunden später in Mladá Boleslav begrüßen: „Das ist das erste Mal, dass eine Spartan auf einer Airshow in Tschechien dabei ist“, lassen uns die Organisatoren wissen. Als kurz nach uns die Electra einschwebt, sorgt sie allerdings für genauso viel Anerkennung und Bewunderung vonseiten des Bodenpersonals. „Noch neun Stunden“, sage ich mir. „Dann ist es endlich so weit.“

Bier um 9 Uhr morgens? Na ja

Ich erkunde das Festgelände. „Pivo?“, fragt eine junge Frau an einem Stand, hält ein Gezapftes in die Luft und schaut mich aufmunternd an. Bier um 9 Uhr morgens? Na ja, ausnahmsweise. Nach und nach fliegen die nächsten Teilnehmer der Airshow ein, um 11 Uhr sitze ich mit meinem zweiten Pilsener auf der riesigen Wiese und lasse mir die Vormittagssonne ins Gesicht scheinen. Ich beobachte einen Weißstorch, der selbstverständlicher als alle Flugzeuge dieser Welt seine Runden überm Gelände dreht. Etwas später freue ich mich über die Replik eines Hans-Grade-Eindeckers von 1909, die ziemlich unbeachtet am Rande des Geländes steht. Ich proste dem Flugzeug zu – mit meinem dritten Bier.

Yannick hatte mir kurz nach unserer Landung ein paar Wertmarken für Essen in die Hand gedrückt. Auf dem Festgelände kann ich die Dinger aber nicht einlösen, hier wollen alle nur Kronen oder Euro. „Towerrr“, sagt jemand mit einem sehr rollenden „r“ und zeigt zum Kontrollturm. Ich gehe zum Tower und in die kleine Gaststätte darunter. Essen? Der Wirt schüttelt mit dem Kopf und zeigt auf seinen Zapfhahn. Na gut, dann nehm ich halt noch ein Bier. „Muzeum“, sagt der Mann dann und zeigt auf meine Wertmarken. Und tatsächlich: Neben dem Flugplatz-Museum ist ein Kantinenzelt aufgebaut. Hier bekomme ich für meine Wertmarken endlich was zu essen: deftige Hausmannskost, Schweinebraten und Kartoffeln. Und natürlich was zu trinken…

Eine Boeing 737 im Tiefflug über der Electra – ganz offenbar ein beliebtes Fotomotiv. © Meiko Haselhorst

Ein paar Stunden sind nun schon vergangen, als ich mich mal wieder bei der Electra blicken lasse. Auf dem Festgelände ist es mittlerweile rappelvoll. Um die 10.000 Besucher würden sie hier an diesem Tag erwarten, hatten die Organisatoren am Morgen gesagt. „Das ist schon ´ne Hausnummer“, hatte nicht nur Yannick befunden. Jetzt liegt er mit seiner Freundin und ein paar anderen Piloten unter dem ausladenden Leitwerk seiner Electra und schützt sich gegen den einsetzenden Regen. Ich geselle mich dazu.

Das Flugzeug über unseren Köpfen, erzählt Yannick, sei 1937 gebaut worden und gehörte – nach einigen Jahren in den USA – den Freien Französischen Luftstreitkräften. Charles de Gaulle sei regelmäßig damit geflogen, später auch Winston Churchill und einige Royals. 1974 wurde die Electra ausgemustert – und erst viele Jahre später in den USA wieder restauriert. Als das Flugzeug dort vor ein paar Jahren zum Verkauf stand, habe er nicht lange gezögert und zugeschlagen, erzählt Yannick. Zusammen mit ein paar Pilotenfreunden habe er die Electra 2019 per Ferryflug wieder zurück nach Europa geholt. Dort steht sie jetzt gemeinsam mit anderen fliegenden Schätzchen im Hangar von ArtDeco Aviation. „Vielleicht verkaufen wir sie eines Tages wieder“, sagt Yannick und zuckt mit den Schultern. Historische Flugzeuge zu kaufen und zu verkaufen, das sei Teil seines Geschäftsmodells. Bei einem Schmuckstück wie diesem falle ihm der Verkauf natürlich schwerer als bei anderen Flugzeugen. Also wolle er sie vorerst behalten – und den einen oder anderen Flugtag damit besuchen.

Die Airshow beginnt, ich bin hellwach

Der Regen hat aufgehört, die Sonne kommt wieder hervor. Ich lege mich ein wenig abseits ins nur leicht feucht gewordene Gras und betrachte meinen Traumvogel noch mal in aller Ruhe. In diesem Moment scheint der glänzende Rumpf des Flugzeugs mit dem blauen Himmel eins zu werden. Herrlich. Für einen Moment fallen mir die Augen zu. Aber dann beginnt die eigentliche Show und ich bin wieder hellwach.

Ein Fallschirmspringer und eine 737 im Tiefflug, flankiert von zwei Jägern, machen den Anfang. Ich gönne mir noch ein Bier. Dann schlägt die Stunde der Warbirds: Die Spitfires, Thunderbolts, Mustangs und ihre diversen Ost-Pendants ziehen eine Show ab, dass selbst die Piloten unterm Electra-Leitwerk mit den Ohren schlackern. „So tief sollte bei uns mal einer fliegen – der wäre sofort seine Lizenz los“, sagt einer. „Und der Veranstalter könnte für immer einpacken“, ergänzt ein anderer. Als einer der letzten Acts führt Yannick seine Electra vor. Ein etwas undankbarer Zeitpunkt: Nach all den Kamikaze-Einlagen der anderen kann die Zuschauer nun kaum noch etwas beeindrucken. Aber dass die Electra ein besonders schönes Flugzeug ist, erkennen sie bestimmt trotzdem noch.

Gegen 17.30 Uhr ist Schluss. Wir essen noch Abendbrot (ich trinke lieber nur Wasser), dann geht es ab nach Hause – in der Electra. Endlich. Wir steigen ein. Ich suche mir meinen Platz. Ein paar Besucher winken uns zu, als wir über den Rasen rollen. Wir winken zurück. „Ob ich für die Leute da draußen wohl gerade aussehe wie Clark Gable? Oder eher wie Winston Churchill?“, frage ich mich, als ich durch die Gardinen schaue. Yannick lässt sich nicht lumpen und fliegt zum Abschied noch ein paar Runden im Tiefflug.

Wenige Minuten später: Ich schaue auf die Wolken knapp über uns und auf die Felder tief unter uns. Ich freue mich über das gleißende Sonnenlicht auf der blitzeblank-polierten Tragfläche. Und darüber, dass ich endlich in meinem Traumvogel sitze. „Jetzt bloß mit allen Sinnen genießen!“, denke ich noch. Dann nicke ich ein. Von der Müdigkeit übermannt. Vom Winde verweht.

Meiko Haselhorst

 

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Über Meiko Haselhorst

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Meiko Haselhorst wollte als Kind immer Pilot werden. Doch es kam anders: Er wurde Tischler, später Redakteur einer Tageszeitung – und arbeitet heute als freiberuflicher Journalist. Seine immer noch vorhandene Leidenschaft für Flugzege und fürs Fliegen lebt der zweifache Vater zuweilen auf Reisen und an der Tastatur aus.

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