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Warum die „Elbeflug“ an der Weser landete

In einer Ecke eines Freizeitparks in Minden fristet eine rund 70-jährige „Nord Noratlas“ ein ziemliches Schattendasein. Wie kam das exotische Flugzeug hierher? Und wo war es vorher im Einsatz?

2.08.2025

Die Noratlas im Potts Park flog bis September 1971 beim Lufttransportgeschwader 62 in Ahlhorn. © Meiko Haselhorst

„Abstellgleis“ ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, als ich sie hinter all dem grünen Gestänge und den herumwirbelnden Gondeln erblicke. Selbst meine flugzeugaffinen Töchter, mit denen ich heute einen Tag in „Potts Park“ in Minden verbringe, brauchen eine ganze Weile, bis sie die alte „Nord Noratlas“ erblicken. „Was macht denn das Flugzeug da?“, wollen sie wissen. Eine Infotafel gibt es hier nicht. Um die durchaus berechtigte Frage zu beantworten, muss man sich woanders schlaumachen.

Zunächst aber ein paar Worte zur Nord Noratlas selbst: Das Flugzeug ist ein zweimotoriger französischer Militärtransporter aus der Zeit des Kalten Krieges. Hersteller war die Nord Aviation. Was den Schulterdecker auffällig macht, ist zum einen der doppelte Leitwerksträger und zum anderen der „freischwebende“ Rumpf. Ihren Erstflug hatte die Variante Nord 2500 bereits im September 1949. Insgesamt wurden von der Noratlas 425 Maschinen gebaut, darunter auch spätere Lizenzbauten in Deutschland. Das Flugzeug wurde im Fliegerjargon „Nora“ genannt.

Die Nora war weltweit im Einsatz

Auch die Luftwaffe setzte die Maschine ein. Ihre Aufgabe war der Transport von Material und Soldaten sowie das Absetzen von Fallschirmjägern. Die Luftwaffe flog mit ihr auch diverse humanitäre Hilfseinsätze – so 1960 nach dem Erdbeben von Agadir, 1962 beim berühmten Sturmflut-Einsatz (Abwurf von Sandsäcken auf Wangerooge), 1965 in Algerien und Mauretanien, 1968 in Sizilien, 1969 in Algerien und Tunesien sowie 1963, 1966 und 1970 in der Türkei.

Die Noratlas hat eine auffällige Formgebung, die durch ihre Aufgabe bestimmt war. Die großen Frachttüren im Heck konnten für das Absetzen großer Lasten entfernt werden. © Meiko Haselhorst

Mit den 25 Maschinen aus französischer Fertigung gab es übrigens große Probleme: Nach einem Bericht des „Spiegel“ aus dem Jahr 1958 wurden Mängel an den Maschinen festgestellt, die ein zeitweiliges Flugverbot nach sich zogen. „Das Flugverbot für diese Maschinen wurde verhängt, weil die Kraftstofftanks gelegentlich Risse hatten, Leitungen brachen, Steuerungsorgane versagten und Funkanlagen ausfielen; die Röhren stammten offenbar aus französischen Beutebeständen des letzten Krieges, jedenfalls trugen sie den Prüfstempel des großdeutschen Reichsluftfahrtministeriums“, heißt es in dem Bericht. In den Jahren 1968 bis 1971 wurde die „Nord 2501“ von der (später legendären) C-160 Transall abgelöst.

Bereits im Jahr 1969 gründete der Pinneberger Kaufmann Horst Ortwin Möller die Fluggesellschaft „Elbeflug“ – und erwarb von der Vebeg, einer Gesellschaft zur Verwertung alter militärischer Mittel, 23 Flugzeuge des Typs Noratlas. Es handelte sich dabei um einen Teil jener Flugzeuge, die von der Luftwaffe ausgemustert worden waren. Um die erforderlichen Millionen zusammen zu bekommen, hatte er mit den abenteuerlichsten Versprechungen mehrere Geldgeber ködern können. Um die Jahreswende 1970/71 wurden dann tatsächlich 16 Maschinen ausgeliefert – ein Exemplar musste aufgrund eines Motorschadens bereits auf dem Auslieferungsflug notlanden und schließlich abgeschrieben werden.

Die Noratlas sollten Früchte aus dem Maghreb nach Europa fliegen

Schon bald verkündete Möller den Abschluss eines Vertrages mit dem marokkanischen Exportbüro für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Mit vier Flugzeugen sollten 100 bis 140 Tonnen Obst und Gemüse pro Monat nach Deutschland und Frankreich geflogen werden. Aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten sollte es weitere Anfragen geben. Darüber hinaus plante man in den Containertransport einzusteigen – mit dem eher ungewöhnlichen Fluggerät sah man sich als eine Art Nischenfüller.

Um es kurz zu machen: Der Plan von einer lukrativen Frachtfluggesellschaft ging nie auf, das Luftfahrt-Bundesamt weigerte sich, dem Unternehmen mit seinen recht undurchsichtigen Firmenverhältnissen eine Betriebsgenehmigung zu erteilen. Keine einzige Maschine verließ im Sinne des operativen Betriebs jemals den vermeintlichen Heimatflughafen Lübeck-Blankensee – der Zustand der Flugzeuge verschlechterte sich zusehends.

Die Lage der Elbeflug spitzte sich zu, als die Geldgeber Auskunft über die Verwendung ihrer Gelder verlangten. Am Ende ging nicht nur die Fluggesellschaft pleite – Gründer Horst Ortwin Möller und seine Ehefrau Helga wurden obendrein wegen Anlagebetrugs zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nach dem Konkurs wurden die letzten zehn im Zuge des Insolvenzverfahrens noch nicht veräußerten Noratlas an einen Schrotthändler versteigert. Einige dieser Maschinen wurden zerlegt, andere gelangten auf teils abenteuerlichen Wegen in Entwicklungsländer.

Und ein Exemplar landete in der Weserstadt Minden: 1972 ersteigerte der damalige Geschäftsführer Karl Heinrich Pott das gute Stück, um es in seinem Park aufzustellen. 1.900 Liter Benzin mussten noch abgelassen werden, allein der Transport kostete damals über 30.000 Mark. Das Flugzeug wurde in Norddeutschland in zwölf Einzelteile zerlegt, per Bahn nach Minden transportiert und direkt im Park wieder zusammengebaut. Das Verteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland untersagte zunächst die Aufstellung ausgesonderter Flugzeuge als Blickfang oder zu Anschauungszwecken. Einige Zeit später erhielt Karl Heinrich Pott dann aber doch noch die Genehmigung.

Früher war die Noratlas im Potts Park eine Sensation, heute ist sie nur noch Dekoration. © Meiko Haselhorst

Über viele Jahre war die Nora in Potts Park ein echter Hingucker. Kinder, Eltern und Großeltern durften die Maschine sogar von innen bestaunen. Auch ich bin in den frühen 80er Jahren darin herumgeklettert. 2009 „flog“ sie sogar noch mal ein kurzes Stück. An einem Kran. Von einer Ecke des Parks in eine andere. Seitdem steht sie hinterm „Turbodrachen“, einem von zahlreichen Fahrgeschäften.

Ob sie damals in Agadir wohl mit dabei war? Oder in Mauretanien? Oder bei der Sturmflut über der aufgepeitschten Nordsee? Den meisten hier ist das wohl einerlei. Meinen Töchtern auch. „Komm Papa, wir wollten doch noch in die Achterbahn“, rufen sie und ziehen mich zurück ins Getümmel – weg vom Abstellgleis.

Meiko Haselhorst

 

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Über Meiko Haselhorst

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Meiko Haselhorst (Jahrgang 1974) wollte als Kind immer Pilot werden. Doch es kam anders: Er wurde Tischler, später Redakteur einer Tageszeitung – und arbeitet heute als freiberuflicher Journalist. Seine immer noch vorhandene Leidenschaft für Flugzeuge und fürs Fliegen lebt der Vater von zwei Töchtern nun auf Reisen, in der Literatur und an der Tastatur aus. Der Pilotentraum ist aber noch nicht ganz ausgeträumt....

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