Das einzige Archipel Italiens im adriatischen Meer liegt am nördlichen Ende von Apulien, 20 Kilometer der Küste vorgelagert. Die Tremiti-Inseln gehören zum Nationalpark Gargano, dessen gleichnamige Halbinsel den Sporn des italienischen Stiefels bildet. Bestehend aus fünf winzigen Eilanden führt die Inselgruppe (noch) ein Schattendasein in Zeiten globaler Touristikströme.
Helikopter-Transfer zu den Tremiti-Inseln
Vom Flughafen Foggia aus fliegen die Hubschrauber der Alidaunia zu den Tremiti-Inseln in der Adria. © Ralf Kurz
Am mangelnden Kulturerbe oder fehlenden Naturschönheiten liegt es aber nicht, dass man bisher vom internationalen Reiseboom verschont wurde. Ganz im Gegenteil, das unbekannte Archipel hat mehr davon als manche heimische Top-Destination. Lediglich Sandstrände sucht man vergebens, unverzichtbare Voraussetzung, um Urlauber massenhaft anzulocken.
Immerhin schrieben die Inseln schon vor 3.000 Jahren Geschichte. Laut griechischer Mythologie strandete und starb hier der Held Diomedes auf seiner Rückfahrt von Troja an der Adria. Daher schmückt man sich auch mit der Bezeichnung Diomedesinseln. Später entdeckten die Benediktiner den Ort als idealen Platz für geistliche Abgeschiedenheit. Ihre dort errichtende Abtei gilt vielen wie eine kleine Kopie des Mutterklosters Montecasino
Die isolierte Lage machte Tremiti auch als Verbannungsort interessant. Kaiser Augustus schickte seine untreue Tochter Julia in jenes einsame Exil. Im Jahr 1911 deportierte der italienische Staat 1.300 Libyer, nach Okkupation des nordafrikanischen Landes, dorthin. Nichtsdestotrotz zog das abgelegene Naturjuwel auch bekannte Künstler und Musiker an. Hier wurde berühmter Liedermacher Lucio Dala zum kreativen Schaffen inspiriert. In seiner Villa Luna Montana, die jetzt als Luxusherberge dient, entstanden populäre Kompositionen.
Die Inseln waren auch Verbannungsort
Das Tremiti-Archipel umfasst eine Landfläche von nur drei Quadratkilometern und besteht aus den beiden Hauptinseln San Domino und San Nicola, wo die rund 500 Bewohner der Inselgruppe leben. Getrennt sind die beiden Eilande durch eine schmale Meerenge, in der Taxiboote für schnelle und ständige Verbindungen sorgen. Auf der 42 Hektar großen Insel San Nicola liegt der einzige Ort und die historische Abtei Santa Maria e Mare, sowie die Festung Castello dei Badiali. Auf der größeren Insel San Domino, sie zählt 208 Hektar, befindet sich der wichtige Fährhafen. Er stellt die eine Stunde dauernde Schiffsverbindung nach Termoli auf dem Festland her.
Entlang der Küste der Insel San Domino erstrecken sich zum Teil sehr steile Klippen. © Ralf Kurz
Entlang der Küste erstrecken sich imposante Felsklippen, wie die steilen Ripa Falcone, ein Brutgebiet der seltenen Elonorenfalken. Die Nachbarinseln Capriai und Cretaccio sind unbewohnt, können aber besucht werden. Dagegen steht das abseits gelegene Pianosa unter strengem Naturschutz mit einem absoluten Betrettungsverbot. Was aber unterscheidet nun dieses idyllische Inselparadies von anderen Geheimtipps weitgereister Globetrotter?
Die Erklärung dafür liegt mitten auf San Domino zwischen Pinienwälder und Blumengärten. Dort steht ein simples Gebäude mit kleinem Aufenthaltsraum und Kartenschalter, so wie eben Busstationen fast überall aussehen. Allerdings warten die darin sitzenden Kunden nicht auf ein Fahrzeug, welches es wegen fehlender Straßen hier nicht gibt. Stattdessen besitzen sie Tickets für den Linienhubschrauber, der mehrmals täglich vorbeischaut. Nach dessen Landung muss es immer schnell gehen: Bei laufenden Rotoren erfolgt das zügige Aus- und Einsteigen, sowie die Gepäckverladung. Nach kaum zehn Minuten ist der Helikopter schon wieder in Richtung Süden verschwunden, damit einige Inselbewohner in der 20 Flugminuten entfernten Provinzhauptstadt Foggia ihre Besorgungen erledigen können.
Ein Ticket kostet 60 Euro
Gerade einmal 60 Euro sind für ein Rückflugticket fällig. Ein Bruchteil dessen, was ein Taxi auf dem Festland für die gleiche Strecke kosten würde. Wenn es einen Weltrekord für die häufige Nutzung von Hubschraubern gäbe, stünden die Bewohner der Tremiti-Inseln sicher an erster Stelle. Rund 7.000 Passagiere zählt die jährliche Statistik auf dieser Route, gelegentliche Besucher bereits herausgerechnet.
Verantwortlich für diesen Umstand zeichnet neben der spendablen Lokalregierung mit hohen Subventionen auch eine ortsansässige Firma. Sie heißt Alidaunia und zählt zu den größten Hubschrauberbetreibern von Italien. Das 1976 gegründete Familienunternehmen hat sich im Laufe von Jahrzehnten zu einem führenden Technologiekonzern im Luftfahrtbereich gemausert. Rund um ihre eigene Helikopterflotte umfasst das Spektrum angebotener Dienstleistungen alle Aktivitäten, die damit zu tun haben. Im Rettungswesen und der medizinischen Notfallversorgung unterhält das Unternehmen zahlreiche Stützpunkte in der gesamten Region Apulien. Daneben spielen die Pilotenausbildung und Wartungsverträge eine zentrale Rolle. Als Eigner einer AW139 und einem halben Dutzend AW109-Hubschrauber hat man sich bezüglich dieser Muster eine tiefgreifende Expertise angeeignet. Deshalb wurde Alidaunia von Leonardo Helicopters als einer der weltweit besten Instandhaltungsbetriebe ausgezeichnet. Auch beim Bau und dem Betrieb von Helikopterlandplätzen zählt man zu den Topadressen.
Der kleine Heliport von San Domino auf den Tremiti-Inseln. © Ralf Kurz
Da lag es im Jahr 2008 nahe, auf San Domino, quasi um die Ecke, ein Vorzeigeprojekt zu realisieren. Möglichen Kunden soll gezeigt werden, wie ein Heliport der Zukunft funktioniert, nämlich ferngesteuert und automatisch überwacht von der Firmenzentrale am Flughafen in Foggia. Dieser fristet aktuell, wie viele regionale Airports, ein kümmerliches Nischendasein ohne Linienverkehr. Anders als der moderne, aber abgeschottete Firmenkomplex von Alidaunia. Gebuchte Passagiere nach San Domino erhalten erst 30 Minuten vor der Abflugzeit Zutritt zum Gelände. Nach dem Check-in müssen bei der peniblen Sicherheitskontrolle Profikameras abgegeben werden. Sie erhält man erst nach der Ankunft am Zielort wieder ausgehändigt. Keine guten Nachrichten für Fotografen, welche auf perfekte Luftaufnahmen spekulieren. Vermutlich schützt sich Alidaunia so vor neugierigen Blicken in Richtung seiner Hangars. Dort werden neben zivilen Projekten auch hochsensible Militäraufträge abgearbeitet.
In der Saison kommt die AW139 zum Einsatz
Nach einem sanften Start in den wolkenlosen Himmel ist das Prozedere aber schnell vergessen. Jetzt überwiegt die Freude auf ein unvergessliches Flugerlebnis. Als Passagier genießt man die herrliche Aussicht durch die großen Panoramafenster auf die unten vorbeiziehende Landschaft des Gargano Nationalparks. Unsere schwarz lackierte AW109EP mit dem Kennzeichen I-PIKI ist eine leistungsgesteigerte Luxusausführung der bewährten Helikopter-Modellreihe. Sie kommt eigentlich für Sonderwünsche von besonders zahlungskräftigen Kunden zum Einsatz. Heute aber vermittelt sie normalen Passagieren auf dem 20 Minuten dauernden Trip nach San Domino etwas Prominentenstatus. Während der Hochsaison setzt Alidaunia bei größerem Andrang ihre einzige AW139, registriert als I-LIDE, im Linienbetrieb zu den Inseln ein. Darin finden dann 15 Fluggäste, statt der acht bei kleinerer Schwester, Platz. Um gegen einen Touristenansturm in den Ferien gewappnet zu sein, verdoppelt sich dann der Ticketpreis für diese, verglichen mit günstigem Tarif für Insulaner.
Jedenfalls bietet der einfach buchbare Helitrip zu den Tremiti-Inseln, den Perlen der Adria, für Hubschrauberfans eine kostengünstige Möglichkeit zur Verwirklichung ihre Flugträume. Sonstige Optionen für ähnlich spektakuläre Hubschrauberflüge bestehen nur auf den hoch im Norden liegenden Färöern, oder noch weiter weg im arktischen Grönland. Selbst dort haben es Reisende oft schwer, Tickets zu ergattern wegen Reservierungssystemen, welche die beliebten Tagesausflüge ausschließen.
Ralf Kurz
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