Mit diesem Begriff bezeichnet man den Umstand, wenn ein Flugzeug aus Wetter- oder anderen Gründen am vorgesehenen Zielort nicht landen kann und eine 180-Grad-Kurve fliegt, um zum Abflughafen zurückzukehren. Eigentlich ein lösbares Problem bei überschaubaren Distanzen innerhalb Europas. Anders sieht es dagegen für einen voll besetzten Widebody aus, der nach fünf Flugstunden umdrehen muss, weil es keinen zum Ausweichen geeigneten Airport in der Region gibt. Es ist frustrierend für die Passagiere – und die Airline – wenn die Fluggäste nach zehn Stunden in der Luft dort wieder aussteigen müssen, wo die Reise begann.
Nuuk Airport
Die A330neo der Air Greenland musste mehrfach Anflüge auf den Nuuk Airport abbrechen, da die vereiste Runway nicht nutzbar war, trotz aller Bemühungen der Räummannschaften. © Ralf Kurz
Der Unglücksrabe, um den es geht heißt TUUKKAQ. Dies ist eine grönländische Bezeichnung für Harpunenspitze. Es ist der Airbus A330neo mit dem Kennzeichen OY-GKN. Als einziger Jet in der Flotte von Air Greenland ermöglicht er Flugverbindungen zwischen Dänemark und Grönland. Die Lebensader zum Rest der Welt für Grönlands 56.000 Bewohner. Momentan gilt TUUKKAQ als Vorreiter für den klimafreundlichen Luftverkehr, weil bei jedem Flug eine Beimischung von fünf Prozent SAF (Sustainable Aviation Fuel) zum herkömmlichen Kerosin aus fossilen Quellen erfolgt. SAF kann entweder aus Bioabfall oder durch synthetische Herstellung erzeugt werden. Es vermindert den CO2-Ausstoß um etwa 80 Prozent. Die Europäische Union schreibt für ihren Zuständigkeitsbereich ab 2030 eine verpflichtende Beimischung von sechs Prozent, ab 2050 sogar von 70 Prozent vor. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, ist fraglich, weil das wenig verfügbare SAF gegenwärtig noch doppelt bis zehnfach teurer ist als Jet A1. Bei Air Greenland genießt der Umweltschutz allerdings hohe Priorität, weshalb man die erst in einigen Jahren geltenden Vorschriften bereits jetzt erfüllt.
2024 nahm der Nuuk Airport seinen Betrieb auf
2024 gilt als Meilenstein für die Luftfahrtgeschichte von Grönland. Endlich konnte nach vier Jahren Bauzeit der modernisierte Flughafen der Hauptstadt Nuuk feierlich seiner Bestimmung übergeben werden. Dieses Projekt ist mit Errichtung von zwei weiteren Airports das größte Vorhaben zur Verbesserung der landesweiten Infrastruktur. Am 28. November 2024 landete TUUKKAQ erstmals auf der neuen 2.200 Meter langen Piste. Gleichzeitig wurde das neugebaute, sehr futuristische Terminalgebäude offiziell eingeweiht. Ab sofort entfielen die bisherigen, umständlichen Zubringerflüge nach Kangerlussuaq, einer ehemaligen Basis der Amerikaner mit einer 2.810 Meter langen Piste. Speziell dafür unterhielt Air Greenland über ein halbes Dutzend Dash-8-Turboprops, welche dort nach der Landung der A330-800 im Minutentakt eintrudelten. Im riesigen Grönland gibt es zwischen den verstreut liegenden Städten keine Straßenverbindungen. Stattdessen verfügen die meisten Küstensiedlungen über Miniairports mit einer 500 Meter langen Runway, speziell konzipiert für robuste Muster wie die De Havilland DHC-8. Falls nicht, setzt man Hubschrauber oder Boote für den Transport ein. Die Begeisterung am 28. November 2024 über die neue Direktverbindung zwischen Nuuk und Kopenhagen, abends gefeiert mit einem spektakulären Feuerwerk, erhielt jedoch bald einen Dämpfer.
Das neue, futuristisch wirkende Terminal in Nuuk wurde im November 2024 feierlich eingeweiht. © Ralf Kurz
Das Jahr 2025 hätte für TUUKKAQ kaum schlechter beginnen können. Geschuldet ist es dem fortschreitenden Klimawandel, der sich in Grönland deutlich schneller bemerkbar macht als in Europa. Während früher gewaltige Schneemassen immer rechtzeitig von der Piste weggeräumt werden konnten, ist man nun dem überfrierenden Regen hilflos ausgeliefert. Im Gegensatz zu den kurzen 500-Meter-Pisten der Küstenorte erfordert die neue 2.200 Meter lange Runway 04/22 in Nuuk einen erheblich größeren Aufwand, um einen Airbus 330-800 sicher darauf landen zu lassen. Trotz Dauereinsatz einer Armada von Spezialfahrzeugen ist aber manchmal der Kampf umsonst.
Am Nuuk Airport steht eine ganze Flotte von Schneeräumfahrzeugen bereit. © Ralf Kurz
Es stellte sich nämlich heraus, dass der maximal zulässige Vereisungskoeffizient auf dem Pistenbelag in Nuuk nicht unter einen Wert zu bekommen war, um einen Widebody darauf rechtzeitig abzubremsen. Was in Kangerlussuaq mit 2.810 Meter langer Start- und Landebahn kein Problem wäre, ist hier nicht mehr tolerierbar. Deshalb drehte TUUKKAQ am 2. Januar 2025, nach längerem Holding über Nuuk, wieder um und kehrte zum Ausgangspunkt des Fluges nach Kopenhagen zurück. Am nächsten Tag das gleiche Spiel: diesmal mit einem Tankstop im isländischen Keflavik. Die bedauernswerten Passagiere waren zu diesem Zeitpunkt schon über 18 Stunden in der Luft, ohne sich ihrem Ziel irgendwie genähert zu haben. Aber am 4. sowie am 5. Januar schaffte es eine angeheuerte A330-200 der spanischen Wamos Air endlich, in Nuuk zu landen.
Die als EC-NHM registrierte Maschine war sehr kurzfristig an beiden Tage eingesprungen. Hunderte gestrandete Reisende konnten aufatmen und ihre endlose Warterei beenden.
Erst Holding, dann Rückkehr zum Startflugplatz
Am 6. Januar 2025 unternahm TUUKKAQ einen weiteren Versuch, den dritten im neuen Jahr, kreiste zwei Stunden über Grönland, und musste dennoch nach Kopenhagen zurückkehren. Am 7. Januar 2025 entschied man sich gleich, Kangerlussuaq anzusteuern, die frühere Destination auf der Route zwischen dänischer Hauptstadt und abgelegener Arktisdestination. Mittlerweile saßen drei Piloten im Cockpit, um die vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten zu können. Denn es dauert, bis alle Fluggäste mit den Dash 8 aus Nuuk hergeflogen werden konnten.
Am 8. Januar 2025 unterzog sich TUUKKAQ einer planmäßigen Wartung an seiner Basis. Diesmal übernahm eine A330-300 der portugiesischen HiFly, registriert auf Malta als 9H-HFJ, den schwierigen Job zwischen Kopenhagen und Nuuk. Mit ihrer Hilfe wird der durcheinander geratene Flugplan von Air Greenland wieder stabilisiert. Die Crews der südeuropäischen Charter-Airline gelten als absolute Spezialisten bezüglich der Landung auf reinen Eispisten. Seit Jahren betreibt HiFly im südpolaren Sommer mit vierstrahligen Airbus 340-300 eine regelmäßige Luftbrücke zwischen Kapstadt und der Antarktis. Am dortigen Ziel namens „Wolf`s Fang“ präpariert man jede Saison eine 3.000 Meter lange Blue Ice Runway im unwirtlichen Niemandsland. Für eingeflogene Wissenschaftler und Touristen der perfekte Ausgangspunkt, um Forschungsmissionen oder abenteuerliche Exkursionen Richtung Südpol zu unternehmen.
Air Greenland ist Flugausfälle gewohnt
Wer jetzt behauptet, jeder Winter gehe mal zu Ende, hat natürlich Recht. Zumal Air Greenland sowieso lediglich vier bis fünfmal wöchentlich mit schwacher Auslastung zwischen Kopenhagen und Nuuk verkehrt. So lassen sich bei Schlechtwetter die Flüge an einzelnen Tage hin- und herschieben. Eine schlecht laufende Woche ist schon eingeplant. Air Greenland ist mit solchen Szenarien bereits seit Jahrzehnten konfrontiert. Daher verfügt der Carrier mittlerweile über ein sehr routiniertes Krisenmanagement.
Anders gestaltet sich die Situation aber während der Urlaubszeit im Sommer. Dann sind die zweimal täglich angebotenen Flugverbindungen schon Monate im voraus restlos ausgebucht. Das Programm lässt sich jetzt nur mit Unterstützung des dänischen Ferienfliegers Jettime durchführen, welcher für die Routen nach Grönland eine seiner Boeing 737-800 bereitstellt.
Nichtsdestotrotz bleibt das Wetter in arktischen Regionen unberechenbar. Im Juli 2022 sorgte eine hartnäckige Nebelfront für eine fast zweiwöchige Unterbrechung des Flugbetriebs, ausgerechnet während der Hochsaison. Reguläre Flugtickets konnte man erst ab September wieder buchen. Aber bei Nebel helfen selbst die Enteisungsexperten am Boden nicht weiter.
Die Anflugbefeuerung für die Piste 04 in Nuuk wurde auf einer Stahlstelzen-Konstruktion installiert. © Ralf Kurz
Wer glaubte, das Air Greenland nach dem schlimmen Januar 2025 das Gröbste in Bezug auf Umkehrflüge überstanden hätte, wurde vier Monate später eines besseren belehrt. Es gab wieder Stoff für einige notorische Kritiker, die nicht müde werden, Flughafenprojekte in Grönland als Fehlplanung darzustellen.
So schaffte es TUUKKAQ am 23. April 2025 unfreiwillig an die Spitzenposition der globalen Trackingplattform Flightradar24. Der Airbus 330-800 war an diesem Tag das weltweit meistverfolgte Flugzeug. Normalerweise bekommt man in der Firmenzentrale von Air Greenland, einem Verwaltungsbau am Rande der Runway in Nuuk, von den Starts und Landungen seines stolzen Flaggschiffes nicht viel mit. Es liegt an den modernen und leisen Rolls-Royce Trent 7000 Triebwerken des Zweistrahlers. Doch diesmal musste TUUKKAQ im Endanflug wegen dichten Nebels im letzten Moment durchstarten. Die Schubkraft beider Motoren erzeugte eine Lärmkulisse, welche ganze Firmenzentrale zum Beben brachte. Die aufgeschreckte Belegschaft verließ fluchtartig ihre Büros, um sich im Foyer zu versammeln. Dort verfolgten sie vor einem riesigen Bildschirm mittels Livestreaming auf YouTube das weitere Geschehen. An Bord des Flugzeuges erlebten die darin sitzenden Passagiere, durch eine aufgeschaltete Kamera des Inflight Entertainment System, den abgebrochenen Anflug besonders hautnah.
Der Nuuk Airport hat immer wieder mit gefrierendem Regen zu kämpfen, der die Zuverlässigkeit der Linienverbindung nach Kopenhagen stark beeinträchtigt. © Ralf Kurz
Bereits am Vortag, am 22. April 2025, wollte TUUKKAQ in Nuuk landen, musste aber, nach vergeblicher Zeit im Holding, wegen des knapper werdenden Treibstoffvorrats wieder nach Kopenhagen umdrehen. Immerhin kreisten an diesem Tag gleich drei Maschinen von Air Greenland über der größten Stadt des Landes und hofften auf Wetterbesserung. Überflüssig zu betonen, dass die beiden anderen Maschinen bei Flightradar24 ,gleich hinter TUUKKAQ an zweiter und dritter Stelle der am meisten getrackten Airliner standen. Schließlich gelang es der Beech King Air 250, dem Ambulanzflugzeug von Air Greenland, ein Nebelloch zu finden und endlich sicher zu landen. Wenig später machte Flugkapitän Thomas seinen Passagieren im Airbus 330-800 mit einer Durchsage etwas Hoffnung: „Gerade kam die Information von der geglückten Landung der Dash 8“. Eine halbe Stunde nach dem ersten Landeversuch fand die Crew der TUUKKAQ die Lücke in den abziehenden Nebelschwaden und landete sicher auf der imposanten Runway 04/22 von Nuuk.
Um überhaupt die erforderliche Pistenlänge von 2.200 Meter zu erreichen, wurde das Ende der Landebahn durch eine aufwendige Stelzenkonstruktion verlängert, über Steilklippen hinweg. Am frühen Nachmittag lockert das Wetter an der grönländischen Westküste oft auf, jedoch zu spät, um den regulären Flugplan einzuhalten. Egal, an diesem denkwürdigen Tag wurden Flight Captain Thomas und First Officer Sten von den Einheimischen wie Helden gefeiert.
Für den klimafreundlichen TUUKKAQ, er wurde im Dezember 2022 fabrikneu ausgeliefert, – AeroBuzz hatte darüber berichtet – bleibt allerdings ein trauriges Fazit. Denn bisher waren die betagten Ersatzflugzeuge kein wirklicher Gewinn für den nachhaltigen Umweltschutz in Grönland. Sowohl die EC-NHM, wie auch die 9H-HFJ, haben schon je 17 Flugjahre auf dem Buckel. Abgesehen davon sind alle U-Turns natürlich der absolute Worst Case, um dem Klima zu schaden. Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete TUUKKAQ bereits 59 (!) Flugausfälle – verglichen mit lediglich drei Annullierungen von Januar bis Juli 2024. Dies ist auch der Hauptgrund für die aktuell tiefroten Bilanzzahlen der Air Greenland.
Air Greenland will eVTOLs nutzen
Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten denkt Air Greenland in Richtung Zukunft, visionär bezüglich nachhaltiger Fliegerei. Deshalb hat man sich beim irischen Leasingunternehmen Avolon mehrere Optionen für das eVTOL-Flugtaxi VX4 gesichert. Die Technologie eines elektrisch betriebenen Senkrechtstarters für vier Passagiere wird von Vertical Aerospace in Großbritannien entwickelt. Als emissionsfreies Flugtaxi sollen damit Touristen zur Ilimanaq Lodge gebracht werden. Die dortigen Luxusbungalows liegen nahe der Stadt Ilulissat, dem Einfallstor Grönlands für viele Besucher. Hauptattraktion dort ist der gewaltige Eisfjord, ein fantastisches Naturspektakel, dass weltweit seinesgleichen sucht. Im Jahr 2026 wird in Ilulissat der neue Flughafen mit einer 2.200 Meter langen Runway eröffnet. Er wird vom künftig zweiten Jet in der Flotte von Air Greenland, einem Airbus 320neo, bedient. Ein Leasingkontrakt wurde bereits abgeschlossen. Wie auch immer, TUUKKAQ möchte seinen U-Turn-Meistertitel möglichst bald loswerden!
Ralf Kurz
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