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Welcher Airport ist der beliebteste in Deutschland? Das Portal für Fluggastrechte AirHelp veröffentlichte gerade ein aktuelles Ranking mit überraschendem Ergebnis: Unter 571 Bewertungen bei Google schnitt der Flughafen Lübeck mit viereinhalb von maximal fünf Sternen am besten ab. Erstmals nominiert, lässt der neue Spitzenreiter 24 Flughäfen hinter sich. Bisher tauchte er in der Statistik nicht auf, weil mindestens 500 Rezensionen erforderlich sind.

25.06.2024

Die ATR 72-500 der Lübeck Air ist für die Passagiere sehr komfortabel, da die Bestuhlung nicht sehr eng ist. © Ralf Kurz

Wie aber ist das möglich für den scheinbar überflüssigen Provinz-Airport an der Ostseeküste? Als früheres Millionengrab für den kommunalen Eigentümer, gestrauchelt, durch gleich zwei Insolvenzverfahren innerhalb kürzester Zeit und erst in letzter Minute gerettet vor einer endgültigen Schließung mittels Bürgerentscheid. Wer eine Antwort auf diese Frage haben will, fragt am besten Winfried Stöcker. Er hat den Flughafen Lübeck 2016 gekauft, zu einer nicht genannten Summe.

Lübeck Air

Damals war die Hansestadt schlauer, nachdem sie vorher mit zwei ausländischen Investoren aus Ägypten und China sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Dem früheren Besitzer Infratil aus Neuseeland musste nach vier Jahren und Rückabwicklung des Kaufes sogar ein zweistelliger Millionenbetrag zusätzlich bezahlt werden. Diesmal erhielt der neue Eigentümer die zugesagte Subvention von fünfeinhalb Millionen Euro erst, nachdem er selbst elf Millionen Euro in das ambitionierte Projekt steckte. Für den promovierten Mediziner Winfried Stöcker sicher kein großes Problem, nachdem der Investor die von ihm gegründete Labordiagnostikfirma Euroimmun für 1,3 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten verkauft hat. Genug Finanzmittel waren also für den erfolgreichen Unternehmer vorhanden, seine eigenen Vorstellungen von nachhaltigem Luftverkehr im heimatlichen Lübeck zu realisieren.

Um als neuer Akteur in der hart umkämpften Luftfahrtbranche erfolgreich zu bestehen, sind eine Vision und wirtschaftliche Expertise gefragt. In Zeiten des billigen Geldes lag es nahe, auf günstig angebotene Immobilien wie eben Airports zu setzen. Man startet als Anbieter von Infrastruktur mit einem breiten Angebot aviatischer Dienstleistungen. Möglichst ohne viel Fremdkapital, deren Anleger ständig nach Rendite schreien. Durch Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich angestrebte Nachhaltigkeitsziele optimal mit angestrebter Gewinnorientierung verbinden. Allerdings nicht ohne hohes Risiko für das eigene Investment.

Wie aber macht man einen maroden Airports ohne richtige Zukunftsperspektiven wieder fit? Investor Stöcker fand mit dem erfahrenen Branchenexperten Jürgen Friedel den idealen Geschäftsführer für sein Firmenreich. Die Gründung der Regionalfluggesellschaft Lübeck Air, ebenfalls im Jahr 2016, fungierte dabei als zentraler Bestandteil eines strategischen Gesamtkonzeptes. Idee war, für Geschäftsleute zeitsparende Direktverbindungen von der alten Hansestadt in die süddeutschen Wirtschaftszentren anzubieten. Eine gebrauchte ATR 72-500 von der schwedischen Braathens Regional erhielt dazu in Maastricht ein neues Farbkleid und wurde umgerüstet. Zwecks Erhöhung des Komforts baute man drei Sitzreihen aus, wodurch sich die Zahl der Passagiersitze von den eigentlich üblichen 72 Plätzen auf jetzt bequeme 60 Plätze reduzierte. Das erforderliche Air Operator Certificate (AOC) stellte die dänische Air Alsie aus benachbartem Sonderborg zur Verfügung. Wegen ihrer Tochter Air Alsie Express – auch ein Betreiber von ATR 72-500 – hat sie Erfahrung bei der Kooperation mit virtuellen Airlines ohne eigenes AOC.

Als erste Destinationen der Lübeck Air versprachen München und Stuttgart lukratives Potenzial. Geplant waren zwei Tagesrand-Rotationen in die bayerische Landeshauptstadt, sowie eine Mittagsverbindung Richtung Schwaben-City. Jeweils von Montag bis Freitag, sowie sonntags. Am Samstag könnte die Maschine auf Charterflügen eingesetzt werden. Der Programmstart sollte mit Beginn des Sommers 2020 erfolgen.

Aber mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie brach das ausgefeilte Geschäftsmodell wie ein Kartenhaus zusammen. Doch die Lübeck Air zeigte sich angesichts eines solchen Worst Case, als der gesamte Luftverkehr quasi zum Erliegen kam, bezüglich ihrer Ambitionen völlig unbeeindruckt. Termingerecht wurden beide Erstflüge am 17. August 2020 nach München und Stuttgart durchgeführt. Leider fehlten in Bayern die bei solchen Anlässen gerne überreichten Brezen. Einen besseren Job machte man in Schwaben, als die Maschine nach ihrer Erstlandung von der Feuerwehr mit einer riesigen Wasserfontäne begrüßt wurde.

Rundflug für alle Lübecker

Um die zahlreichen Kritiker der klimaschädlichen Fliegerei ins Boot zu holen, überlegte man sich einen klugen Schachzug: Alle Bürger von Lübeck wurden vorab eingeladen, an einem Rundflug über ihre Heimatstadt teilzunehmen. So lernten manche Flughafengegner ihre Gegend erstmals aus der Vogelperspektive zu schätzen und konnten für das Anliegen des Newcomers begeistert werden. Was am 8. August 2020 als einmaliges Event gedacht war, entwickelte sich bald zum populären Familientrip. Bis zum Jahresende fanden so noch jeden Samstag 23 weitere Sightseeing-Flüge statt. Eine halbe Stunde Fliegen für schlappe 60 Euro war auch für jedermann erschwinglich.

Was aber unterscheidet nun diesen Airport mit seiner Airline hinsichtlich des Versprechens besonderer Nachhaltigkeit von der Konkurrenz? Im Zuge der Modernisierung des Terminals entwickelte man ein innovatives Modularkonzept. Das heißt, die drei provisorischen Gebäude, bestehend aus Abflug, Ankunft und Gepäckausgabe, können später als Hangars genutzt werden. Bei der Verpflegung an Bord ihrer ATR 72-500 setzt die Lübeck Air auf eine strikte Plastikvermeidung. Dafür wurden eigens Tabletts aus hochwertigem Metall entwickelt. Waschbare Sitzkissen bestehen aus reiner Baumwolle. Sogar verschließbare Spucktüten können nach Gebrauch dem Recycling zugeführt werden. Im Flughafenbistro bereitet ein ausgebildeter Koch regionale Spezialitäten zu. Er soll nach Eröffnung des Airportrestaurant, voraussichtlich noch in diesem Jahr, dort die Leitung übernehmen. Wenn man als Klientel Geschäftsleute anpeilt, ergibt es keinen Sinn, vor oder nach teuerem Flug am Boden billige Brötchen anzubieten. Solche Weisheiten erläutert mir Stefanie Eggers, die fürs Marketing zuständige Managerin. Unerreichbare Callcenter, oder Subunternehmer mit schlecht bezahlten Angestellten, scheinen in dieser Flughafenwelt nicht zu existieren.

Doch schwierige Coronazeiten warfen diese ausgetüftelte Planung völlig über den Haufen. Sie zwangen Jürgen Friedel zu einem kompletten, aber möglichen Strategiewechsel. Statt München tauchte plötzlich Salzburg, statt Stuttgart das schweizerische Bern im Flugplan auf. Immerhin noch in der zumutbaren Reichweite für das Einsatzspektrum einer ATR 72-500. Während alle geschäftlichen Kontakte nun ausschließlich im Homeoffice stattfanden, trauten sich erste Urlauber nach den anstrengenden Lockdowns wieder in das benachbarte Ausland. Ferne  Weltregionen  waren dagegen wegen strenger Reisebeschränkungen noch unerreichbar.

Die Air Alsie half mit einer großzügig bestuhlten ATR 72-500 aus. © Lübeck Air

Nach dem Ende der Pandemie-Beschränkungen brach dann ein völlig ungeahnter Boom nach Ferienreisen per Flugzeug aus. Dafür war die einzige ATR 72-500 der Lübeck Air weder vorgesehen noch geeignet. Während einer größeren Wartung wechselte das Turboprop-Flugzeug vom schwedischen ins deutsche Register. Anstelle des Kennzeichens SE-MDB war sie nun mit der Registrierung D-ALBC unterwegs. Air Alsie half zwischenzeitlich als Vertretung mit ihrer rabenschwarzen, als OY-CLY registrierten ATR 72-500 im gesamten Streckennetz aus. Sie ist mit nur  48 Sitzplätzen  sogar noch luxuriöser bestuhlt als das ersetzte Exemplar.

Seit Aufnahme des Flugbetriebes am Flughafen Lübeck gesellte sich zum einzigen Turboprop ein dort stationierter Business Jet des Typs Dassault Falcon 7X von  Air Alsie mit dem Kennzeichen D-ACFL  hinzu. Dieser macht den kleinen Carrier an der Ostsee, mit einem über 40 Millionen Dollar teueren Business Jet, sogar zu einem Global Player im Geschäftsreiseverkehr. Freilich trägt der Vogel – ohne Frage Hingucker für Besucher – zum eigentlichen Vorhaben wenig bei.

German Airways stellte eine Embraer zur Verfügung

Um die notwendige Auslastung des Flughafen Lübeck langfristig zu sichern, musste schnell ein größeres Flugzeugmuster her. Es sollte gefragte Destinationen rund um das Mittelmeer während der touristischen Hochsaison bedienen. Für den Sommer 2022 engagierte man von German Airways die als D-AJHW registrierte Embraer 190. Mit Zweiklassenbestuhlung war sie im Urlaubersegment allerdings nicht optimal geeignet. Doch wegen der bekannten Lieferverzögerungen bei den Flugzeugherstellern ist der Leasingmarkt bis heute leergefegt. Im darauf folgenden Sommer 2023 wurde man bei griechischer Marathon Airlines fündig. Deren Embraer 175 mit Kennzeichnen SX-ASK hatte die gewünschte Einklassenbestuhlung für 88 Passagiere, ohne überflüssige Business Class. Am Saisonende war das Aufkommen bereits so hoch, dass ein Airbus 320 der estnischen Nordica zum Einsatz kam.

Gleichzeitig ließ Lübeck Air seine Geschäftsleute nicht im Stich. Die Linien nach München und Stuttgart übernahm eine Dornier 328 von Private Wings. Für die geringere Nachfrage reichten deren 32 Sitzplätze völlig aus, noch dazu mit einer höheren Reisegeschwindigkeit. Laut Statistik ist innerdeutscher Luftverkehr nach Corona um über die Hälfte eingebrochen.

Als aktueller Homecarrier von Lübeck fungiert seit Sommer 2024 die Sundair, welche schon früher von hier einige Charterketten durchführte. Vor Ort stationiert ist nun der als 9A-BER registrierte Airbus 319 der kroatischen Schwestergesellschaft FlyAir41 mit 150 Sitzplätzen. Die beiden Airlines gehören mehrheitlich dem Touristikveranstalter Schauinsland Reisen. Seit Mai 2024 lauten die mehrmals wöchentlich angeflogenen Ziele Heraklion, Korfu, Kos, Mallorca und Rhodos. Damit peilt man für die laufende Feriensaison 100.000 Passagiere an. Weit entfernt von den fast 700.000 Fluggästen des Jahres 2009. Damals überschwemmten Billigcarrier wie Ryanair und Wizz Air die Region mit Touristen. Eine Wachstumsstrategie, welche sich für die betroffenen Regionalairports in den seltensten Fällen auszahlt.

Die Lübeck Air ruht derzeit

Und was ist aus der ATR 72-500 von Lübeck Air geworden? Sie hat eine neue Heimat quasi um die Ecke gefunden. Bei der Danish Air Transport ist sie jetzt als OY-RUA registriert. Laut Flottenverzeichnis wurden die drei entfernten Sitzreihen wieder eingebaut, und erhielt somit ihre ursprünglichen Bestuhlung für 72 Passagiere zurück. Selbst erinnere ich mich gerne an meine vier Flüge mit diesem besonderen Vogel. Zunächst zwischen München und Lübeck, später von dort über Stuttgart nach Bern, und dann ab Salzburg zurück an die Ostsee. Während Corona, mit einer Vielzahl an Reisebeschränkungen, fühlten sich solche Flüge für mich an wie vermeintliche Trips ans Ende der Welt.

Laut Homepage befindet sich Lübeck Air momentan im Winterschlaf, aus dem sie bis heute nicht erwacht ist. Im Gegensatz zu dem am Airportgelände beheimateten Flughafenfuchs. Als Alternative zum Loch im Flughafenzaun wurde ihm extra ein schmaler Tunnel gelegt. Damit er Mäuse fängt, welche sonst den Flugbetrieb störende Greifvögel anlocken würde. Das Planfeststellungsverfahren zur Pistenverlängerung der Runway 07/25 von 2.100 Meter um 150 Meter auf dann 2.250 Meter ist jedenfalls behördlich genehmigt. Damit den Machern des von AirHelp gelobten Flughafen Lübeck weitere Zukunftsvisionen, auch hinsichtlich eines Comebacks von Lübeck Air, nicht ausgehen.

Ralf Kurz

 

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Über Ralf Kurz

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Mein Name ist Ralf Kurz und ich wurde 1958 in München geboren. Seit der Kindheit fasziniert mich die Fliegerei. Meinen Traumjob, Pilot zu werden, konnte ich nicht realisieren. Nebenberuflich arbeite ich als freier Luftfahrtjournalist. In den letzten drei Jahrzehnten wurden über 90 Artikel und Reisereportagen in deutsch- und englischsprachigen Fachmagazinen von mir publiziert. Schwerpunkt sind dabei kleinere Airlines in exotischen Ländern, welche bei uns unbekannt sind. Zudem bin ich Mitglied der deutschen Sektion von MAF, einem christlichen Flugdienst, der rund 120 Kleinflugzeuge in 27 Staaten betreibt. Zwecks Erstellung von Fotoreportagen über unsere MAF-Projekte führten mich Reisen nach Amazonien, Angola, Bangladesch, Lesotho, Madagaskar, Mosambik, Mongolei, Neuguinea, Osttimor, Suriname und Uganda. Alles geschah auf eigene Kosten in meiner Freizeit, verwendet wird ausschließlich selbst erstelltes Fotomaterial.

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