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FlyCar – Winterairline ohne eigene Flotte

Eine Fluggesellschaft, die nur im Winter fliegt, gleicht einem Eishockeyteam welches seine Spiele lediglich im Sommer austrägt. Ein Ding der Unmöglichkeit, zumindest wenn man damit Geld verdienen möchte. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel, auch im äußerst hart umkämpften Luftfahrtgeschäft.

15.03.2025

Die FlyCar wurde 1999 gegründet und hat sich auf Flüge von Deutschland in den skandinavischen Norden spezialisiert. © Ralf Kurz

Ab Januar ziehen sich jeden Montag Hunderte Beschäftigte der deutschen Autoindustrie besonders warm an. Um ihren Arbeitsplatz  zu erreichen, kommen weder das eigene Fahrzeug noch öffentliche Verkehrsmittel in Betracht. Einige Testingenieure, die morgens noch mit der Familie frühstückten, drehen nachmittags schon Runden auf zugefrorenen Seen in der eisigen Tundra Lapplands. Egal wo sie wohnen, und für welchen Konzern gearbeitet wird. Direktflüge bringen deren Angestellte nonstop in drei Stunden in den hohen Norden Europas. Genau genommen nach Arvidsjaur, einen verschlafenen Ort mit kaum 4.000 Bewohnern in der einsamen Wildnis von Lappland. Jeden Winter erscheint der Name auf den Anzeigetafeln einiger deutscher Flughäfen. Richtig exotisch, zwischen Destinationen wie London, Paris oder Rom.

Winterflüge für die Automobil-Industrie

Doch während der Corona-Flaute wurde man neugieriger, was sich hinter dem unbekannten Ziel eigentlich verbirgt. Denn selbst bei gerade mal einem Dutzend Abflügen am Tag war Arvidsjaur (IATA-Dreiletter-Code AJR) immer noch nicht von den Monitoren in München verschwunden. Völlig logisch, denn Autos müssen auf Wintertauglichkeit regelmäßig getestet werden, Pandemie hin oder her. Selbst die strengen, damals geltenden Einreiseverbote, wurden in Schweden extra außer Kraft gesetzt. Aber wer hatte eigentlich die originelle Idee ,für den wichtigsten deutschen Wirtschaftszweig einen winterlichen Flugshuttle nach Lappland zu organisieren?

Im Jahr 1999 gründeten Michael Fender und Rainer Dreher den Flug- und Reiseveranstalter FlyCar mit Sitz im Oppenheim am Oberrhein. Alleiniges Geschäftsmodell war die exklusive Bereitstellung von Charterkapazitäten für die gesamte Automobilindustrie. Hierfür engagierte man interessierte Airlines, je nach angefragtem Bedarf. Für jene bedeutete es lukrative Zusatzaufträge, gerade in der sehr nachfrageschwachen Nebensaison von Dezember bis April. Die vier angebotenen Abflugorte München, Frankfurt-Hahn, Hannover und Stuttgart liegen nicht weit entfernt von den Produktionswerken und Firmenzentralen der Branchengiganten.

Touristen entdecken den Hohen Norden Schwedens zunehmend. Schlittenhunde-Fahrten und andere Outdoor-Aktivitäten locken die Menschen. © Ralf Kurz

Am effizientesten erwies sich eine Kombination zweier Städtepaare, wodurch die Auslastung an den beiden Flugtagen Montag und Freitag optimal gewährleistet werden konnte. Allerdings am Wochenbeginn nur auf den Hinflügen, sowie am Ende der Woche auf den Rückflügen. Deshalb reifte bald der Plan, die sonst leeren Plätze touristisch zu vermarkten. Ein verlängertes Wochenende in schneesicherer Traumlandschaft könnte Winterfreaks nach Lappland locken. Immerhin kann Arvidsjaur die gesamte Palette der beliebtesten Outdoor-Aktivitäten anbieten. Neben dem Highlight Husky-Touren sind das Fahrten mit dem Schneemobil, ein Skilift mit Flutlicht, Eisangeln und vieles mehr. Völlig abseits von überfüllten Touristenzentren inmitten unberührter Taigalandschaft. Im großem Hotel Laponia ist fast immer ein Zimmer frei, und nach frostigen Abenteuererlebnissen draußen kann man sich im hauseigenen Schwimmbad aufwärmen. Ideal deshalb, weil ein internationaler Airport gleich um die Ecke liegt.

Der Flughafen ARJ wurde 1990 eröffnet

Gebaut wurde der 1990 eröffnete Flughafen von Arvidsjaur aber weder für Urlauber noch die lokale Bevölkerung. Stattdessen entspricht er mit seiner 2.500 Meter langen Runway exakt den Bedürfnissen der Automobilbranche. Im Winter herrscht zweimal pro Woche, montags und freitags, für wenige Stunden Hochbetrieb. Oft parken dann mittags, zur Rushhour, drei Jets nebeneinander. Vorstände, die mit Firmenjets einschweben, um Erlkönige zu begutachten, sorgen für zusätzlichen Betrieb. Arktiswetter und eisige Temperaturen spielen keine Rolle, ja sind sogar erwünscht.

Offensichtlich könnten die hier eingesetzten Schneeräumer bei entsprechendem Wettbewerb alle Preise gewinnen. Manche Piloten europäischer Charterunternehmen waren noch nie in Helsinki oder Oslo. Aber Arvidsjaur kennen sie gut, dank FlyCar, und schwärmen von einem problemlosen Anflug inklusive einer zügigen Abfertigung bei jedem denkbaren Wetterchaos.

Die schwedische Nextjet nutzte bis zu ihrer plötzlichen Insolvenz auch die BAe ATP für Flüge von Stockholm in den Hohen Norden. © Ralf Kurz

Mit jährlich 30.000 Passagieren generiert die Autoindustrie etwa die Hälfte der Aufkommens. Allerdings versinkt dieser Flughafen während der viel ruhigeren Sommermonate nicht in den vermuteten Dornröschenschlaf. Es existiert eine ganzjährig betriebene Linienverbindung nach Stockholm, welches 800 Kilometer südlich liegt. Auf dem Landweg eine Ewigkeit entfernt, erreicht man die Metropole bequem per Flugzeug zwei- bis dreimal am Tag. Zuständig dafür war über viele Jahre der 2002 gegründete Regionalcarrier Nextjet, beheimatet in Stockholm Arlanda. Mit seiner Commuterflotte bestehend aus Saab 340 und BAe ATP kümmerte er sich um die Anbindung entlegener Orte zu den Airports großer Städte. Im Fokus stand das dünnbesiedelte Lappland, neben Arvidsjaur standen Gällivare und Lycksele auf dem Programm. Bekannt bei einigen Flugzeugfans war die Airline wegen ihrer fünf unterschiedlich lackierten BAe ATP. Nextjet setzte dieses Flugzeugmuster ab 2013 als weltweit einziger Betreiber im regulären Passagierverkehr ein. Im Mai 2018 kam dann die überraschende Pleite, trotz der staatlich subventionierten Routen. Kurz zuvor, weil sich technische Ausfälle häuften, half die griechische Astra Airlines mit ihrer BAe 146 aus, und schickte den Vierstrahler in den hohen Norden.

Das Ende von Nextjet bereitete Probleme

Aufgrund des plötzlichen Endes von Nextjet war es schwierig, schnell Ersatz zu finden. Mehrere Flughäfen der schwer erreichbaren Region standen ohne Linienverbindung da. Schließlich sprang Nordica – der Markenname der estnischen Nordic Aviation – in die Bresche. Dieses staatseigene Unternehmen wurde gegründet, um nach dem Aus von Estonian Air am heimischen Luftfahrthimmel weiter mitmischen zu können. Weil deren Flottenportfolio drei Bombardier CRJ 900 umfasste, kamen jetzt moderne Regionaljets mit kürzeren Flugzeiten zwischen Stockholm und Arvidsjaur zum Einsatz. Als sich Nordica im Oktober 2023 vom schwedischen Binnenverkehr wieder verabschiedete, stand diesmal aber sofort Ersatz bereit. Die Transportbehörde hatte zuvor schon die heimische Amapola Flyg mit der Bedienung einiger schwach frequentierter und subventionierter Inlandsrouten beauftragt. Amapola Flyg, gegründet im Jahr 2004, begann mit einer reinen Fokker-50-Flotte als Päckchenflieger im Auftrag der schwedischen Post.

Im Winter gehört auch die Condor mit Charterflügen zu den Nutzern des Flughafens Arvidsjaur. © Ralf Kurz

Anfang 2018 stieg man ins Passagiergeschäft ein, mittels Anmietung von passendem Fluggerät, welches andere Regionalcarrier zur Verfügung stellten. Die Erteilung der Routenrechte nach Arvidsjaur, sowie fünf weiterer Orte in Lappland, war ein willkommener Anlass, den eigenen Markenauftritt aufzufrischen. Unter dem neuen Namen PopulAir und frischem Design in grünen Farben pendeln seitdem sieben Fokker 50 vom Firmensitz Stockholm Arlanda nach Nordschweden. Fünf Exemplare finden weiterhin im Frachtsektor Verwendung. Damit wandelt PopulAir bezüglich alter Flugzeugklassiker auf den Spuren von Nextjet. Als letzter Betreiber von Fokker 50 in ganz Europa. Der Rückzug von Nordica verlief glimpflich, verglichen mit der Hiobsbotschaft mehrere Monate zuvor.

Anfang März 2023 stellte FlyCar einen Antrag auf Insolvenz, nach 20 Jahren Flugshuttle als zuverlässiger Partner der Autoindustrie. Die Kunden hatten Glück, dass die schlechte Nachricht erst zum Saisonende kam. Bisher hatte man alle Krisen wie Corona erfolgreich gemeistert. Doch jetzt rächte es sich, sein Geschäftsmodell lediglich auf ein Standbein zu konzentrieren. Zwar verstärkte man zuletzt Anstrengungen, im Touristiksektor mehr Einnahmen zu erzielen. Beispielsweise durch die saisonale Errichtung des sehr luxuriösen Iglootel nahe Arvidsjaur. Eine Kopie des berühmten Eishotels in Jukkasjärvi, das 1990 erstmals seine Pforten öffnete. Aber der zunehmende Kostendruck bereitete dem Management erhebliche Schwierigkeiten. Selbst der Wechsel von renommierten Airlines wie TUI fly und Condor zu günstigen Carrier wie SmartLynx konnte das Ende nicht verhindern. Lange vorbei waren die Zeiten, als man an Bord von Lauda Air oder Austrian Airlines noch Menüs der Spitzengastronomie servierte.

Wie aber sollte es nach der Pleite von FlyCar in der nächsten Wintersaison weitergehen? Immerhin gibt es seit 2015 mit Pro Sky einen zweiten Anbieter im Shuttleverkehr für die Automobilbranche nach Arvidsjaur. Von den Abflugorten Stuttgart und Köln/Bonn setzt er auf eine langfristige Kooperation mit Eurowings. Weil Pro Sky als Reiseveranstalter jedoch in verschiedenen Touristikbereichen aktiv ist, können ihm auftretende Kostensteigerungen und Schwankungen in einzelnen Märkten wenig anhaben. Doch dessen verfügbares Angebot kann die durch den Konkurs entstandene Fluglücke nach Lappland nicht vollständig ausgleichen. Daher witterten Ende 2023 zwei neue Akteure ein lukratives Geschäft mit der Autobranche.

Leav Aviation setzt auf Nischenmärkte

Die im Jahr 2020 gegründete Charterfluggesellschaft Leav Aviation ist in Nischenmärkten unterwegs, welche etablierten Konkurrenten wenig attraktiv und uninteressant erscheinen. Den Firmenchefs Daniel Broda und Johannes Klinsmann, zwei erfahrene Branchenkenner, bot sich eine Gelegenheit, ihre beiden Airbus A320 auch außerhalb der Ferienzeit auszulasten. Deshalb wurde eine Maschine für den Autoshuttle bis zum März 2025 in München stationiert. Aber auch von Frankfurt ist Arvidsjaur mittels Einzelplatzverkauf für Privatleute erreichbar. Allerdings kommen Schnäppchenjäger nicht auf ihre Kosten. Bei nur zwei Tarifkategorien ist ein Rückflugticket von der bayerischen Landeshauptstadt erst ab 698 Euro erhältlich, egal wann gebucht wird.

Als aktuell dritter Anbieter offeriert unter dem bezeichnendem Namen Polar Air Shuttle ein anderer Newcomer seine Dienste ab München via Hannover ins winterliche Nordschweden. Diese Firma ist Ableger von Professional Air Solutions, welche als internationaler Spezialist seine Dienste im Sektor der Allgemeinen Luftfahrt anbietet. Auch hier ergatterte Eurowings den Auftrag, und setzt seine langjährige Expertise hinsichtlich arktischer Destinationen ein. Bereits im Winter 2022 gab es eine wöchentliche Verbindung zwischen Stuttgart und Lulea, der größten Stadt von Lappland am äußersten Ende des Bottnischen Meerbusen. Momentan geht es jeden Samstag bis zum Frühjahr 2025 von Düsseldorf nach Kiruna, dem nördlichsten Flughafen in Schweden.

Diese Lockheed Martin C-130J der U.S. Air Force brachte Infanteristen zur Winterkampfausbildung nach Schweden. © Ralf Kurz

Wer jetzt glaubt, auf den über 3.000 zugefrorenen Seen rund um Arvidsjaur würden lediglich Autos auf ihre Wintertauglichkeit getestet, erlebt manchmal eine Überraschung. Gelegentlich erhält der Flugplatz auch Besuch von Militärtransportern wie etwa der Lockheed Martin C-130 Hercules. Den aussteigenden Soldaten, speziell aus Südeuropa, mutet die Ankunft wahrscheinlich wie ein Horrorszenario an. Trainiert werden in Winterbiwaks verschiedenste Kampfübungen unter lebensfeindlichen Bedingungen. Trotz fortschreitender Klimaerwärmung mussten in Lappland solche Ausbildungsprogramme noch nie abgesagt werden!

Ralf Kurz

 

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Über Ralf Kurz

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Mein Name ist Ralf Kurz und ich wurde 1958 in München geboren. Seit der Kindheit fasziniert mich die Fliegerei. Meinen Traumjob, Pilot zu werden, konnte ich nicht realisieren. Nebenberuflich arbeite ich als freier Luftfahrtjournalist. In den letzten drei Jahrzehnten wurden über 90 Artikel und Reisereportagen in deutsch- und englischsprachigen Fachmagazinen von mir publiziert. Schwerpunkt sind dabei kleinere Airlines in exotischen Ländern, welche bei uns unbekannt sind. Zudem bin ich Mitglied der deutschen Sektion von MAF, einem christlichen Flugdienst, der rund 120 Kleinflugzeuge in 27 Staaten betreibt. Zwecks Erstellung von Fotoreportagen über unsere MAF-Projekte führten mich Reisen nach Amazonien, Angola, Bangladesch, Lesotho, Madagaskar, Mosambik, Mongolei, Neuguinea, Osttimor, Suriname und Uganda. Alles geschah auf eigene Kosten in meiner Freizeit, verwendet wird ausschließlich selbst erstelltes Fotomaterial.

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