Homepage » Aero-Kultur » 50 Jahre über den Wolken

1974 erschien auf dem Reinhard-Mey-Album „Wie vor Jahr und Tag“ ein ganz besonderes Lied. Auf der LP eher versteckt platziert, wurde es zu einer Hymne, die noch heute Millionen Menschen berührt. Unseren Autor auch.

13.04.2024

Das Lied Über den Wolken von Reinhard Mey wurde 1974 erstmalig veröffentlicht. © V. K. Thomalla

Wir hatten soeben die Wolken durchflogen und blickten nun gemeinsam von oben auf die schneeweiße Decke, da fing meine fünfjährige Tochter mit glockenheller Stimme an zu singen: „Über den Wolken…. muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“. Einige Passagiere auf den umliegenden Sitzen quittierten das mit einem wohlwollenden Lächeln, mir selbst standen vor Rührung die Tränen in den Augen. Die kleine Episode trug sich im Mai 2022 auf unserem Ferienflug nach Menorca zu und ist mein bislang letztes besonderes Erlebnis mit einem besonderen Lied: „Über den Wolken“. In diesem Jahr wird die Hymne von Reinhard Mey 50 – und berührt nach wie vor Menschen aller Alters- und Reiseklassen.

An mein „erstes Mal“ kann ich mich nicht mehr ganz so gut erinnern – auch ich werde in diesem Jahr 50. Ich weiß nur noch, dass es im Wohnzimmer meiner Eltern stattfand, irgendwann in den späten 70ern oder frühen 80ern. In meiner Erinnerung ist es Dieter Thomas Heck, der mit ausladender Geste „Reinhard Mey! Über den Wolken!“  ins Mikro ruft. Vielleicht war es in Wirklichkeit ein anderer Moderator. Ist ja auch wurscht. Das Lied hat mich jedenfalls damals schon gepackt. All diese scheinbar belanglosen Bilder vom staubenden Regen, von den bunt schillernden Pfützen und vom Kaffeeduft in der Baracke sprachen mich auf unerklärliche Art und Weise an – was sicherlich auch damit zusammenhing, dass mein Vater mit mir zu jener Zeit schon einige Male auf dem nahegelegenen Segelflugplatz „Vennebeck“ zu Besuch gewesen war. Auch dort gab es Baracken und bunte Pfützen.

Die Musik von Reinhard Mey begleitete den Autoren sein ganz Leben lang. © Meiko Haselhorst

In den Jahren und Jahrzehnten danach haben mich Text und Melodie nie mehr verlassen. Ich pfiff und sang das Lied vor mich hin, als ich mit neun oder zehn Jahren meinen ersten Lilienthal-Gleiter nachbaute (mit dem ich auf sehr direktem Weg von unserem Garagendach in Tante Friedas Pfingstrosenbeet flog), ich pfiff das Lied ziemlich laut vor mich hin, als ich meine erste Schnupperflugstunde absolvierte (was den Fluglehrer mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht dazu veranlasste, mich an das Mikro vor meinem Mund zu erinnern), ich pfiff und sang das Lied, als ich viel später über dem kolumbianischen Regenwald mit einer alten DC-3 meine Runden drehen durfte (da flog ich ohne Headset) – und ich sang das Lied für Rob Everts, als ich mit ihm in Alaska am Yukon River stand, um eine Geschichte über seine DC-6- und C-46-Flotte zu schreiben. Rob verstand natürlich nur Bahnhof, aber egal. Natürlich pfiff und sang ich das Lied auch meinen Töchtern zum Einschlafen vor. Ach, und nicht zu vergessen: In den 90ern war ich fast persönlich beleidigt, als ein anderer Dieter Thomas (nämlich Kuhn) das Lied komplett verunstaltete – und die Massen es betrunken mitgrölten. Nichts gegen das Betrunkensein an sich – aber diese Variante war definitiv nicht „mein“ Über den Wolken.

50 Jahre wie im Flug

Als hoffnungsloser und zuweilen etwas naiver Romantiker (und nebenberuflicher Luftfahrtjournalist) habe ich vor einiger Zeit versucht, Kontakt zu Reinhard Mey aufzunehmen. Die grandiose Idee: Zum großen Jubiläum mit Reinhard himself über den Flugplatz Mariensiel bei Wilhelmshaven (heute „JadeWeserAirport“) zu schlendern. Dort hat er seine Lizenz gemacht, dort ist auch das Lied entstanden. Und dort wollte ich mit ihm übers Fliegen, über die Musik und über Gott und die Welt sprechen. Unter anderem hatte mich immer die Frage beschäftigt, ob er beim Schreiben des Songs schon das Gefühl hatte, an etwas ganz Großem zu arbeiten. Seine Agentur hat mein halbgares Konzept wohl nicht so ganz überzeugt – jedenfalls hat sich niemand bei mir zurückgemeldet. Wahrscheinlich war das auch ganz gut so, vielleicht hätte ich vor Reinhard Mey gestanden und vor lauter Respekt kaum ein Wort hervorgebracht.

Die Antwort auf meine Frage – und noch etwas mehr – fand ich ohnehin etwas später im Internet: „Ich hatte mir eine Auszeit vom Arbeiten genommen, aber so ganz konnte ich es doch nicht sein lassen. Zwischen den Lektionen habe ich einfach mal den Notizblock genommen und mir von der Seele geschrieben, was ich da gerade sah“, sagt Reinhard Mey in einem Interview mit dem NDR, in dem er über seine Zeit als Flugschüler spricht.

„Alle Worte stimmen. Es war eben eine Luftaufsichtsbaracke in Wilhelmshaven und es hat auch wirklich jemand Kaffee gekocht, es war auch regnerisch, es hat sehr viel geregnet und natürlich schwamm in den Pfützen Benzin. Ich brauchte nur die Wirklichkeit nachzuschreiben und schon war das Lied fertig.“ In einem weiteren Interview sagt er, dass das fertige Lied auf der LP ziemlich weit hinten platziert wurde, weil weder er selbst noch die anderen Beteiligten es für ein besonders herausragendes Werk hielten. So kann man sich vertun.

Apropos: Mein bislang letztes besonderes Erlebnis mit dem Lied hatte ich gar nicht im Mai 2022. Fünf Monate später, im Oktober, war ich auf einem Reinhard-Mey-Konzert in Hannover – und habe gemeinsam mit Tausenden von Konzertbesuchern „Über den Wolken“ gesungen, und natürlich auch gemeinsam mit Reinhard Mey. Gesungen, nicht gegrölt. Das war fast so schön wie ein gemeinsamer Spaziergang über den Flugplatz Mariensiel. Und fast so schön wie ein Flug nach Menorca mit meinen Töchtern.

Meiko Haselhorst

 

Besuchen Sie uns auf der AERO 2024! Wir sind im Übergang von Halle A5 zu Halle A6 (Standnummer ÜO-01)!

 

 

Folgen Sie uns auf X
Liken Sie uns auf Facebook

 

Das könnte Sie auch interessieren:

Schätze aus dem Keller

Auf dem Sprung zum Flug

Ottos Geist schwebt überall

Über Meiko Haselhorst

zum Aerobuzz.de
Meiko Haselhorst wollte als Kind immer Pilot werden. Doch es kam anders: Er wurde Tischler, später Redakteur einer Tageszeitung – und arbeitet heute als freiberuflicher Journalist. Seine immer noch vorhandene Leidenschaft für Flugzege und fürs Fliegen lebt der zweifache Vater zuweilen auf Reisen und an der Tastatur aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.