Im dritten Kapitel beschreibt Peter Riedel einen spektakulären Wolkenflug über amerikanischem Boden. Er macht das so mitreißend, dass der Leser das Gefühl hat, im Cockpit direkt neben ihm zu sitzen. Solche Schilderungen sind allerdings die Ausnahme. Wer ein Buch mit klassischen Fliegergeschichten erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber für den Menschen Peter Riedel und für sein phasenweise haarsträubend abenteuerliches Leben interessiert, für den ist dieses Buch ein absolutes Muss.
„German Air Attaché“ heißt das Werk von Martin Simons, das im Sommer 1997 – etwa anderthalb Jahre vor Peter Riedels Tod – auf den Markt kam. Der in Australien lebende Simons war ein später, aber enger Freund der deutschen Fliegerlegende, hat zahllose Gespräche mit Riedel geführt, Texte und Tondokumente zusammengetragen und letztlich ein Buch geschrieben, das die besonders aufregenden Jahre in Peter Riedels Leben von 1937 bis 1948 unter die Lupe nimmt. „Auch wenn ich die Worte letztlich zu Papier gebracht habe, ist und bleibt es Peter Riedels Erzählung“, betont der Autor an einer Stelle im Vorwort.
Fast ein Vierteljahrhundert später war es Peter Hadamczik-Trapp, der das Buch auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich machte. Die erste Auflage kam 2021 auf den Markt, die zweite erst vor wenigen Monaten. Hadamczik-Trapp räumt freimütig ein, dass er beim Thema „Literatur und Peter Riedel“ lange Zeit ausschließlich an dessen Trilogie „Erlebte Rhöngeschichte“ gedacht habe, bevor er über Simons‘ „German Air Attaché“ gestolpert sei. Das Buch faszinierte ihn, er nahm Kontakt zum Autor auf. Mit der Bitte, es ins Deutsche übertragen zu dürfen, rannte er in Australien offene Türen ein. Und so geschah es. Der Titel: „Peter Riedel – zehn bewegte Jahre ab 1937 aus dem Leben der Fliegerlegende“.
Das Buch hat einen Umfang von 560 Seiten
Ganz besonders wird in diesem 560-Seiten-Buch Peter Riedels Rolle im nationalsozialistischen Deutschland beleuchtet. Wie kam es, dass er seinem Vaterland und der Nazi-Regierung zunächst den Rücken kehrte, dann aber in einem entscheidenden Moment und in wichtiger Position zurückkehrte – und trotz früher Zweifel und immer stärkerer Ablehnung fast bis zum apokalyptischen Ende seine „Pflicht“ tat? Die Antwort auf diese sehr komplexe Frage wird auf mehreren hundert Seiten gegeben – sie ist aber nicht langatmig und klingt auch nicht nach Ausrede. Ganz nebenbei erfährt der Leser auch Details zu Riedels Kindheit, nimmt Teil an diversen Schicksalsschlägen und menschlichen Enttäuschungen, erhält Einblicke ins Seelen- und Liebesleben.
Besonders abenteuerlich wird es in den letzten Kapiteln des Buches: Riedel sieht sich unmittelbar nach dem Krieg gezwungen, aus Schweden zu flüchten, geht mit einer kunterbunt zusammengewürfelten Crew auf eine haarsträubende Bootsreise, die ihn von Skandinavien bis nach Marokko führt. Dort sitzt er für längere Zeit im Gefängnis, muss dann ein weiteres Mal mit einem kleinen Schiff auf eine nicht minder abenteuerliche Flucht gehen – und landet diesmal in Venezuela. Hier darf er seine geliebte Helen in die Arme schließen, die er schon Jahre zuvor geheiratet hatte. Und endlich wendet sich das Schicksal wieder zum Guten.
Peter Riedel hat den langen „Rest“ seines Lebens bekanntlich in den USA verbracht, wurde amerikanischer Staatsbürger, arbeitete unter anderem für TWA und Pan Am, blieb aber sein Leben lang dem Segelflug und der Wasserkuppe verbunden – und starb erst im gesegneten Alter von 93 Jahren. Vermutlich wäre ein Buch über das letzte halbe Jahrhundert ebenfalls recht kurzweilig, aber die interessantesten Jahre in Riedels Leben dürften in der Tat jene zwischen 1937 und 1948 gewesen sein. Gut, dass es dazu ein Buch gibt – seit einiger Zeit auch auf Deutsch. Martin Simons und Peter Hadamczik-Trapp sei Dank. Und natürlich Peter Riedel.
P.S.: Als Meiko Haselhorst, Autor dieses Textes, im Frühjahr 2024 mit Peter Ocker in den Keller des Deutschen Segelflugmuseums auf der Wasserkuppe ging, durfte er auch einen Blick auf Peter Riedels Nachlass werfen. Dort einen Reisepass mit Hakenkreuz (und Peter Riedel in entsprechender Uniform) zu sehen, war für ihn „irgendwie ein beklemmendes Gefühl“. Beim Lesen des Buches etwas mehr zu den (entlastenden) Hintergründen erfahren zu haben, sei hingegen „ein schönes Gefühl“.
Meiko Haselhorst
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