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Kein tragfähiges Zukunftsszenario: Werften arbeiten auf Verschleiß

Luftfahrttechnische Betriebe stehen in Deutschland unter Druck. Die kommenden fünf Jahre werden laut einer Aerobuzz-Recherche voraussichtlich zeigen, ob es entweder zu einer Preisexplosion kommt oder ob noch mehr Werften ihre Tore für immer schließen und Flugzeugwartung – zunächst für bestimmte Typen und schließlich für alle – nur noch schwer zu bekommen sein wird.

13.06.2024

Der Augsburg Air Service hat 2018 seiner Abteilung Flugzeuge mit Kolbenmotor durch einen Umzug in die Halle 2 mehr Platz eingeräumt. © Augsburg Air Service

Stell’ Dir vor, Du bringst Dein Flugzeug zur Wartung und es ist keiner mehr da, der sie machen kann. Den Kampf um Fachkräfte kennen wir aus vielen Branchen. In der Luftfahrt scheint sich die Lage allerdings gerade so zuzuspitzen, dass die Gründe für den ausbleibenden Nachwuchs nicht mehr lange ausgeblendet werden können. „So richtig sprechen will darüber keiner, aber alle tuscheln. Im Grunde traut sich niemand, dem Kaiser zu sagen, dass er nackt ist“, findet der CEO des Luftfahrttechnischen Betriebs Porta Air Service, Laurent Gauthier.

Laurent Gauthier ist Geschäftsführer (CEO) von Porta Air Service. © Heiko Link

Einer der wichtigsten Gründe für die Probleme in den Werften ist – wenn wir ehrlich sind – eigentlich auch der am schwersten nachvollziehbare Grund: Die Stundensätze in den Werften liegen unter denen einer Autowerkstatt. Für einen VW Caddy zahlt Gauthier im VW Autohaus 147 Euro netto pro Stunde: „In unserer Branche liegen wir im Schnitt 30 Prozent darunter.“ Das bestätigt auch Florian Kohlmann, der Managing Director von Augsburg Air Service (AAS), wo die Stundensätze in der Werft erst vor Kurzem auf 110 Euro netto für Flugzeuge mit Kolbenmotor und auf 120 Euro für Jets angehoben wurden.

Florian Kohlmann, der Managing Director Augsburg Air Service, am Cirrus SF50 Vision Jet. © Augsburg Air Service

Schwer nachvollziehbar sind die niedrigeren Stundensätze zum einen deshalb, weil die Ausbildung neuer Mitarbeiter für die Werften sehr viel teuerer ist, als in der Autobranche. „In den kommenden Jahren gehen Prüfer der Klasse 1 in Rente, deren Lizenzen teilweise Millionen wert sind“, berichtet Gauthier. 35.000 – 40.000 US-Dollar kostet ein Type-Rating als Prüfer für eine King Air. Plus vier bis sechs Wochen, in denen der Mitarbeiter in der Schulung ist und in der Werft nicht eingesetzt werden kann, plus Reisekosten und Spesen: „Und dann kommt der Mitarbeiter zurück und sagt, dass er als Prüfer einer King Air mehr Geld bekommt.“

Die Ausbildungskosten zu tragen, ist für Werften auch deshalb mit einem Risiko verbunden, weil sie Mitarbeiter unter dem deutschen Arbeitsrecht nur eingeschränkt für bestimmte Zeit an das Unternehmen binden können. „Im Grunde kann so jemand jederzeit gehen“, sagt der CEO von Porta Air Service. Laut Florian Kohlmann gibt es Fortbildungsverträge, mit denen er Mitarbeiter maximal drei Jahre im Unternehmen halten kann: „Das ist abhängig von den Kosten der Fortbildung. Bei einem Prüfer B1 sind es beispielsweise zwei Jahre.“ Wobei die Zeit sofort ab Beendigung der Fortbildung läuft, obwohl der Mitarbeiter nach der Theorie erst noch ein Praxistraining – mit anschließendem kostenpflichtigen Eintrag der Lizenz – durchlaufen muss.

Die Regierung fokussiert auf die großen Konzerne

Während im ostwestfälischen Porta Westfalica die Autobranche höhere Gehälter zahlt, steht man in Augsburg im Wettbewerb mit dem Staat. „Im Fokus der Regierung liegen die großen Konzerne, wo die Gehälter des Personals staatlich subventioniert sind“, berichtet Kohlmann. Nachdem kleinere Betriebe den Nachwuchs für viel Geld ausgebildet haben, wird er für staatlich subventionierte Großkonzerne, Airlines und Flugzeugbauer sozusagen zum gefundenen Fressen. Die werben kurzerhand Mitarbeiter mit personenbezogenen Lizenzen im Wert von 200.000 bis 300.000 Euro ab: „1.000 Euro mehr Gehalt im Monat, Fahrtkostenzuschüsse und eine 35- statt einer 40-Stunden-Woche – oder anders gesagt: weniger Arbeit für mehr Geld – das überlegt man sich schon. Erst recht, wenn vielleicht gerade Kinder unterwegs sind.“ Oder wenn die Work-Life-Balance bei den jüngeren Generationen eine größere Rolle spielt. In Zeiten, in denen Fachkräfte dringend gesucht werden, treten angehende Azubis auch anders auf: „Wir hatten jemanden, der kurz vor Beginn der Ausbildung abgesagt hat, weil Airbus 100 Euro mehr im Monat zahlt.“

Von reichen Leuten kann man sparen lernen

Schwer nachvollziehbar sind die niedrigen Stundensätze aber auch deshalb, weil die Kunden der Flugzeugwerften sich höhere Stundensätze eigentlich leisten können müssten. Außerdem sind sie aus ihren Autowerkstätten auch andere Preise gewöhnt. „Zum Vergleich muss man die Preise bei Mercedes, BMW und Porsche heranziehen, weil das die Autos sind, die Piloten fahren“, findet Laurent Gauthier. Das Argument „günstige, freie Werkstatt“ zieht bei ihm nicht wirklich, weil die Kunden laut Gauthier im Rahmen von Leasingverträgen in der Regel auch verpflichtet seien, den Service in der Vertragswerkstatt durchführen zu lassen. Ein weiteres Beispiel sei der Ölwechsel. „Obwohl wir mit 15,- Euro brutto pro Liter wirklich sehr viel günstiger sind, als die Autowerkstatt, bringen Piloten ihr eigenes Öl mit. Das sollen wir dann verwenden. Bei Porsche würde sich das niemand trauen“, findet Gauthier.

Georg Krause arbeite seit über 50 Jahren bei Porta Air Service beziehungsweise den Vorgängerfirmen. © Heiko Link

Dass man zu viel Geld kommt, indem man wenig ausgibt, davon weiß auch Florian Kohlmann ein Liedchen zu singen. Bei einem Jet fällt die große Wartung alle drei Jahre an und schlägt – abhängig vom Muster – mit etwa 60.000 Euro zu Buche. „Was viele nicht verstehen ist, dass man eine Wartung macht, um Fehler zu finden“, sagt Kohlmann. Deswegen kommen noch mal bis zu 40 „Findings“, die in Summe 30.000 bis 40.000 Euro kosten, oben drauf: „Früher wurden die selbstverständlich mitgemacht. Heute muss das alles einzeln angeboten werden.“ Am Ende gebe es dann Kunden, die einen „Testflug“ machen wollten, um zu prüfen, ob alles funktioniert und dabei auf Nimmerwiedersehen davonfliegen: „Deswegen machen wir bei Augsburg Air Service jetzt viel mit Vorkasse.“ Dass wegen Beträgen von 250 Euro stundenlang diskutiert wird oder ganze Rechnungen wegen einem zu klärenden Posten länger zurückgehalten werden, sei bei der Zielgruppe auch nicht gerade unüblich.

Bashing erschwert Nachwuchsgewinnung

Was den Werften die Nachwuchsgewinnung auch erschwert, ist das Bashing, also das öffentliche Niedermachen der Branche. „In Deutschland ist die Akzeptanz der Luftfahrt nicht groß und es wird oft das böse Wort Privatjet benutzt“, findet Florian Kohlmann. Geschäftsreiseflugzeug wäre doch viel treffender, wenn man bedenkt, dass 90 Prozent der Flüge geschäftliche Flüge sind: „Hinter solchen Flügen stehen Firmen mit tausenden Arbeitsplätzen.“ Die Leute würde auch nicht sehen, dass es für diese Flüge ja keine Infrastruktur wie Straßen, (dank Glyphosat unkrautfreie) Schienen, Brücken, Tunnel, beheizte Bahnhöfe und vieles mehr braucht, das ja auch in die Umwelt eingreift: „Davon abgesehen sind wir in unserer Branche ja nun wirklich die Ersten, die bei neuer Technik mitmachen.“ Um vom Image der umweltverschmutzenden Luftfahrt wieder weg zu kommen, müsse wirklich viel für mehr Verständnis und Akzeptanz gemacht werden: „Firmen mit Jet gelten bei uns als Umweltverschmutzer. In Amerika sieht das anders aus. Da heißt es: Wow! Die haben einen eigenen Jet. Für die will ich arbeiten!“

Die Wartung älterer und seltener Flugzeugtypen – hier eine Cessna F337E Super Skymaster – könnte bei zunehmendem Personalmangel in den Werften schwieriger werden. © Heiko Link

Laurent Gauthier empfindet die Situation in der Branche als paradox. Einerseits besteht viel Nachfrage mit einer Vollauslastung der Betriebe, in der eigentlich Kapazitäten geschaffen werden müssten. Andererseits gebe es aktuell kein nachhaltiges, zukunftsfähiges Szenario, wie es weitergehen kann: „Wir arbeiten auf Verschleiß.“ Als Gauthier 2013 der neue Chef von Porta Air Service wurde, waren noch 591 Werften beim Luftfahrtbundesamt in Braunschweig registriert. Innerhalb von zehn Jahren ist diese Zahl auf 300 gesunken. Seit das Independent Certifying Staff – oder der „Man in the Van“ wie Gauthier diese Einzelkämpfer nennt – 2020 wieder eingeführt wurde, steigt die Zahl wieder leicht an, weil die Ein-Mann-Unternehmen auch als Werft gezählt werden. Um aus der Misere herauszukommen, müsse die Branche laut Gauthier kurzfristig vor allen Dingen zwei Fragen klären:

  • Wie können wir in Zukunft noch dafür sorgen, dass sich junge Menschen für unsere Berufe begeistern?
  • Wie können wir die Wartung von Flugzeugen auch in Zukunft sicherstellen?

Preise erhöhen oder es wie Miele machen

Aktuell sieht der 47-Jährige nur die Möglichkeit, die Preise auf das Niveau der Autowerkstätten anzuheben – womit er schon happy wäre, weil er zumindest wieder ein Auskommen hätte – oder des Werftsterbens: „Die Amerikaner haben ihre Preise jetzt schon angeglichen.“ Was Preiserhöhungen betrifft, erwähnt der Managing Director aus Augsburg noch, dass deutsche Behörden ja auch nicht davor zurückschrecken, ihre Gebührenbescheide teurer zu machen.

Als weiteren Ausweg für Werften bringt Kohlmann die Senkung von Kosten ins Spiel. Er bemerkt eine Verlagerung ins Ausland, wo nicht nur geringere Lohnkosten locken: „Für Mitarbeiter ist es einfacher ihre Lizenzen im Ausland zu machen. Für Unternehmen ist der Umgang mit den Behörden im Ausland einfacher.“ Außerdem seien fliegende Kunden ja schnell in Polen, wo sie die Wartung beim örtlichen Anbieter oder auch beim deutschen Investor günstiger durchführen lassen könnten. Die Branche zieht scheinbar in Richtung Osten. Oder anders gesagt: Was Miele bei der Produktion von Waschmaschinen vorgemacht hat, könnte den Werften jetzt auch blühen.

Reaktionen erwünscht: Sag‘ dem Kaiser, wenn er nackt ist

Florian Kohlmann möchte auf jeden Fall im Werft-Business bleiben, weil es ihm einfach Spaß macht: „Wir müssen versuchen, wieder mit der Leidenschaft fürs Fliegen und Flugzeugbegeisterung zu punkten.“ Was die Gewinnung von Azubis betrifft ist, man bei AAS laut dem Managing Director auch noch in einer glücklichen Lage: „Wir finden jedes Jahr drei Azubis, von denen am Ende meistens einer bleibt.“

Auch Laurent Gauthier will weiter machen. Allem Umwelt-Bashing zum Trotz ist er davon überzeugt, dass es auch in Zukunft keine Alternative zur Allgemeinen Luftfahrt geben wird, um zuverlässig von A nach B zu kommen: „Ich will Verständnis dafür wie man mit der Branche umgeht und die General Aviation Community wachrütteln. So wie beim Change Management, wo es im ersten Schritt auch darum geht, Erkenntnis zu schaffen.“ Laut dem 47-Jährigen nimmt dieses Thema jetzt Fahrt auf: „Ich wünsche mir viele Leserbriefe und Kommentare, in denen die Leute sagen, wie sie das sehen.“ Also: Sagt dem Kaiser, wenn er nackt ist oder was immer Ihr auch seht. Auch die Aerobuzz-Redaktion ist gespannt auf Rückmeldungen.

Heiko Link

 

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Über Heiko Link

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Heiko Link ist Journalist und Podcaster, der in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Seine bevorzugte Berichtsform ist die humorvolle Reportage, die er am liebsten über Flugzeug-Selbstbauer schreibt. Baugeschichten und technische Themen begeistern ihn in der Luftfahrt und auch am Boden, beim Hoch- und Tiefbau. Fliegerische Erfahrung hat der Ostwestfale als Drachen-, Gleitschirm- und UL-Pilot gesammelt.

4 Kommentare

  • Linda Stöber

    Das ist ein sehr guter Artikel, kein ewiges Geschwätz oder jammern, sondern die Problematik auf den Punkt gebracht und nicht zu schwarzgemalt, sondern Hoffnung mit Lösungsvorschlägen gemacht. Sehr ehrlich von Euch Beiden berichtet und gut zu „Papier“ gebracht👍😀

  • Thomas Bister

    Spannender Artikel. Die Frage ist noch wie man mit dem Thema Weiterbildung bzw. Umschulung umgeht. Ich denke es gibt genug Interessenten ausserhalb der Luftfahrt aber nicht jeder hat die Zeit und das Geld eine B1 Lizenz oder vergleichbar nebenberuflich zu verwirklichen

  • Volker Sslomo

    Sehr gut geschrieben und auf den Punkt gebracht. Auch die Zusammenarbeit mit dem LBA ist zwingend notwendig. Dort wurde das Personal in den letzten Jahren verdoppelt bzw. verdreifacht, aber es gibt keine Möglichkeit Probleme aus dem Alltag zu besprechen.
    Auch ich bin im nächsten Jahr 30 Jahre selbstständig in dieser Branche und habe Höhen und Tiefen erlebt. Ich sehe es auch so, dass leider unsere Branche nicht mehr attraktiv ist. Die wenigen, leidenschaftlichen Schrauber werden durch Regularien ausgebremst. Ich denke auch wir „Übriggebliebenen Werften sollten enger zusammen arbeiten. Die Fliegerei wird es aus wirtschaftlichen und Hobbygründen sicher weiter geben. Also machen wir das beste draus!
    Volker Salomo CEO
    Salomo Flugzeugservice GmbH

  • Heiko Link

    Erstmal ganz herzlichen Dank an die Dame und die beiden Herren für die tolle Rückmeldung vom Autor des Artikels! Ich habe mich sehr darüber gefreut.

    @Volker Salomo: Wenn sich was tut in Sachen engerer Zusammenarbeit, dann bitte auf jeden Fall mir bescheid sagen! 😉

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