Noch während der Zweite Weltkrieg in Europa in vollem Gange war, lud die Regierung der Vereinigten Staaten im Dezember 1944 die Vertreter von 55 verbündeten Ländern, von denen einige, wie Frankreich, Belgien oder die Niederlande, noch besetzt waren, zu einem Treffen in das Stevens Hotel in Chicago im US-Bundesstaat Illinois ein, um die seit mehreren Monaten eingeleiteten Arbeiten zur Gründung einer internationalen Luftfahrt-Organisation zu formalisieren.
Als Ergebnis dieses Treffens unterzeichnen 52 der 55 Länder am 7. Dezember das neue „Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt“, das heute allgemein als „Abkommen von Chicago“ bezeichnet wird.
Es war nicht der erste Versuch verschiedener Staaten, die sich bemühten, einen Aufschwung des zivilen Luftverkehrs zu ermöglichen und einen gemeinsamen internationalen Rahmen zu schaffen, aber dieses neue Übereinkommen fiel in eine besondere Zeit. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren ein starker Beschleuniger der Bemühungen. Die Luftfahrt hat sich technisch besonders stark weiterentwickelt und war spektakulär gewachsen. Auch die Luftverkehrsnetze wurden ausgebaut, aber es gab seinerzeit noch viele Hindernisse, sowohl technischer als auch politischer Natur.
Das Abkommen von Chicago sah die Schaffung einer Organisation für die zivile Luftfahrt unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen vor: Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) war geboren und wurde 1947 in Montreal eingerichtet.
Die Hauptaufgabe der ICAO bestand und besteht bis heute darin, „die internationale Luftfahrt in einer sicheren und geordneten Weise zu entwickeln, die es ermöglicht, Luftverkehrsdienste auf der Grundlage der Chancengleichheit einzurichten und sie auf gesunde und wirtschaftliche Weise zu betreiben“.
Sichere Luftfahrt ist das Ziel der ICAO
In der Folgezeit wurden mehrere weitere Übereinkommen verhandelt und verabschiedet, die bestimmte Punkte des Abkommens von Chicago präzisierten und ergänzten. Dies geschah vor allem als Reaktion auf die Zunahme von Terroranschlägen und Flugzeugentführungen in den 1960er und 1970er Jahren. So einigten sich die Mitgliedsländer des Tokioter Übereinkommens 1963 auf Maßnahmen im Falle einer Flugzeugentführung.
Heute sind 193 Länder Mitglieder der ICAO. Deutschland ist der Organisation 1956 beigetreten, als 193. Mitglied kam 2019 der Karibik-Staat Domenica hinzu. Die 96 Artikel und 19 Anhänge des Abkommens von Chicago bilden die Grundlage für das Luftrecht aller Länder, die es ratifiziert haben. Einige Länder haben den Text des Abkommens vollständig übernommen, andere haben einige Änderungen vorgenommen.
Das Abkommen geht von dem Grundsatz aus, dass jeder Staat die Souveränität über den Luftraum über seinem Hoheitsgebiet besitzt. Das Abkommen von Chicago legt jedoch grundlegende Überflug- und Landefreiheiten aus kommerziellen oder technischen Gründen fest.
Die ICAO hat die Freiheiten im Luftverkehr definiert
Zusätzlich zu den Überflugfreiheiten verpflichten sich die Länder, die das Abkommen ratifiziert haben, den Transit von Flugzeugen, Passagieren und Fracht zu erleichtern und dabei ein hohes Sicherheitsniveau aufrechtzuerhalten. Jeder ICAO-Mitgliedstaat muss ähnliche Verfahren in Bezug auf die Kommunikation, die Unterstützung der Funknavigation, die Erfassung und den Austausch von Wetterdaten, Luftfahrtkarten oder Such- und Rettungsverfahren einführen.
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Luftfahrzeuge und der Technik haben sich die Anhänge des Abkommens von Chicago seit 1944 ständig weiterentwickelt. Heute enthält das Abkommen mehr als 12.000 Standards und empfohlene Praktiken, die alle von den 193 derzeitigen ICAO-Mitgliedstaaten im Konsens angenommen wurden. Die Flugsicherheit bleibt der zentrale Punkt des Textes, zu dem das Thema Drohnen, eVTOL und die Umweltproblematik hinzugekommen sind.
Die ICAO schätzt, dass im Jahr 2023 „4,5 Milliarden Passagiere, das heißt, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, sicher mit dem Flugzeug unterwegs waren. Der Sicherheitsstandard in der kommerziellen Luftfahrt im Jahr 2023 ist auf 17 Unfallopfer pro einer Milliarde Passagiere gesunken“. Bis 2030 will die ICAO diese Sterblichkeitsrate auf null drücken. In Bezug auf die Umweltauswirkungen hat sich die Organisation bis 2050 das Ziel gesetzt, die Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Am 4. und 5. Dezember 2024 haben sich am 80. Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens von Chicago, die Vertreter der ICAO-Mitgliedsländer in Chicago in genau dem Hotel getroffen, in dem die Gründungsurkunde unterzeichnet wurde. Aus dem Stevens Hotel ist zwar inzwischen das Hilton Hotel geworden, aber es war der selbe Ballsaal wie damals. Mit diesem Treffen wollten sie nicht nur das Erreichte feiern, sondern auch die internationale Politik zu Regelungen verpflichten, die notwendig sind, um die Entstehung neuer Lufttransportmittel zu begleiten. Die ICAO hat die Gelegenheit genutzt, daran zu erinnern, dass 193 Staaten trotz etlicher Differenzen und Streitigkeiten eine Einigung erzielen können.
Fabrice Morlon
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