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Fachkräfte finden in der „Flughafen-Blase“

Am Flughafen Hannover ist der Kulturwandel bei der Personalgewinnung gerade in vollem Gange: Während man früher, in Zeiten von reichlich eingehenden Bewerbungen, mit einer gewissen Arroganz absagte, werden potenzielle Kandidaten von besonders schwer zu besetzenden Stellen seit Neuestem aktiv angerufen. Welche aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen es bei der Umstellung des Recruitings sonst noch gibt, darüber sprach Aerobuzz mit der Fachbereichsleiterin „People & Culture“ Sandra Ritter, und dem Personalreferenten Marc Muntau.

17.03.2023

Der Flughafen sucht ständig neue Mitarbeiter in verschiedenen Berufen und für unterschiedliche Aufgaben. © Flughafen Hannover

Bis Corona kam, war die „Recruiting-Welt“ am Flughafen in Hannover noch in Ordnung. Den Fachkräftemangel hatte man zwar durchaus auf dem Schirm, bis zum Pandemie-Beginn beschränkte er sich allerdings auf Medienberichte und andere Betriebe. Als die Bewerber dann ausblieben, ging es für die Niedersachsen auch darum, ihr vorhandenes Personal zu halten. „Wir waren einer der wenigen Flughäfen in Deutschland, der keine betriebsbedingten Kündigungen aussprach“, betont die Fachbereichsleiterin Sandra Ritter. Da der Arbeitsmarkt zunehmend dynamischer wurde, verschärfte sich die Lage dennoch durch den Weggang von Arbeitnehmern, die nach Einschätzung der Mitarbeiter der Abteilung „People & Culture“, früher wohl nicht gekündigt hätten. Dazu kam weiterer Personalbedarf durch eine interne Umstrukturierung, bei der neue Stellen geschaffen wurden. Während in der Vergangenheit maximal drei bis vier Stellen gleichzeitig ausgeschrieben waren, sucht man laut dem Personalreferenten Marc Muntau heute „in Hülle und Fülle, regelmäßig im zweistelligen Bereich“. Eine zusätzliche Stelle entstand auch in der Personalabteilung, wo eine neue Kollegin jetzt aktiv zum Hörer greift, um Kandidaten zu gewinnen.

Sandra Ritter ist Fachbereichsleiterin People & Culture beim Flughafen Hannover. © Flughafen Hannover

„Einfach mal zum Hörer greifen“, scheint in der Personalgewinnung noch schwieriger zu sein, als im Vertrieb. Denn während Vertriebler die Rolle des „Klinken-Putzers“ schon zur Genüge kennen, müssen Personaler den Abschied von der „Melden Sie sich nicht bei uns, wir melden uns bei Ihnen Kultur“ erstmal schlucken. Und laut Marc Muntau, anscheinend nicht nur die: „Dieser Kulturwandel muss vorne in der Kette anfangen und wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Nachfolgend müssen dann auch die Fachbereiche mitziehen.“ Ende Januar ist das Active Sourcing am Flughafen Hannover so organisiert, dass Personalreferenten im Computersystem durch das Setzen eines Häkchens bei besonders schwer zu besetzenden Stellen die Unterstützung der neuen Kollegin anfordern können: „Das wird zum Beispiel bei Ingenieuren im Tiefbaubereich gemacht.“

Interne sind die neuen Top-Kandidaten

Während Ingenieure einerseits schwer zu finden sind, so bringen sie doch wenigstens noch den Vorteil mit, dass man sie als fertig ausgebildete Kandidaten rein theoretisch überall suchen kann. „Es gibt aber auch Berufe, wie zum Beispiel den Verkehrsführer vom Dienst, die es nur an Flughäfen gibt“, berichtet Muntau. Der Job ist kein ganz unwichtiger, denn immerhin handelt es sich dabei um den höchsten operativen Mitarbeiter, der auch die Möglichkeit hat, den Flugbetrieb komplett einzustellen, wenn er das für erforderlich hält. Auch als Follow-Me-Fahrer auf dem Vorfeld, lässt sich laut Muntau nicht einfach jeder Autofahrer einsetzen. Solche Leute kommen entweder von einem Wettbewerber oder aus den eigenen Reihen. Marc Muntau findet, dass Flughäfen eine Art eigene „Job-Blase“ bilden: „Auf höherer Ebene quer einzusteigen ist schwierig. Dafür kommt es häufiger vor, das Leute unten einsteigen und sich dann bis zum Geschäftsführer hocharbeiten. Zum Beispiel bei den Verkehrsleitern investieren wir viel Zeit in Ausbildung.“ Seiner Chefin Sandra Ritter ist es wichtig, an dieser Stelle zu ergänzen, dass sich die internen Entwicklungsmöglichkeiten durch den engen Arbeitsmarkt noch mal deutlich verbessert haben. Früher erschien laut Ritter häufig der externe Kandidat im strahlenden Licht: „Heute versuchen wir Stellen zunächst intern zu besetzen.“

Einwanderungspolitik der Bundesregierung verpufft

Wenn jemand in der Hierarchie aufsteigt, dann wird unten was (für Quereinsteiger mit Entwicklungsmöglichkeiten) frei. Kandidaten mit Migrationshintergrund und Fachkräfte aus dem Ausland könnten die Lösung sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Bundesregierung die Grenzen weit öffnet und Einwanderung erleichtert, um in genau solchen Fällen dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. An Flughäfen verpufft dieser Effekt jedoch komplett. Der Grund dafür ist die Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZÜP). Eigentlich muss die ZÜP nur für Jobs in Sicherheitsbereichen bestanden werden. Laut Sandra Ritter fordern sie aber alle Flughäfen in Deutschland für alle Jobs. Der Grund dafür ist, dass sich im Grunde jeder mal in Sicherheitsbereichen aufhalten kann. „Bei Herkunft aus bestimmten Ländern bestehen Kandidaten die Zuverlässigkeitsüberprüfung leider nicht“, berichtet Muntau. Und auch gebürtige Deutsche kann es treffen: „Wenn jemand ein Sabbatical eingelegt und sich dabei zum Beispiel in den USA oder Neuseeland aufgehalten hat, wird es kompliziert, weil dann schon mal das FBI mit ins Spiel kommt.“

2022 zählte der Flughafen Hannover 3,96 Millionen Passagiere. Das waren 92 Prozent mehr als noch 2021. © Flughafen Hannover

Wenn das Herkunfts- oder Aufenthaltsland nicht zum Problem wird, dann unter Umständen die Bearbeitungszeit der zuständigen Behörde. Laut Muntau kann es schon mal bis zu sechs Wochen dauern, bis eine Rückmeldung kommt: „Fach- und Führungskräfte warten darauf in der Regel. Andere Kandidaten eher nicht.“ Beim Saisongeschäft kommt es vor, dass die Saison vorbei ist, bevor die Antwort der Behörde kommt. Und auch Auszubildende haben den Bescheid trotz frühzeitiger Anfrage nicht immer bis zum Beginn der Ausbildung. „Wenn das passiert, dann starten wir zum geplanten Termin mit Schulungen und Weiterbildungen, die wir außerhalb des Sicherheitsbereichs machen können“, berichtet Ritter.

Mehr Zeit fürs eigentliche Recruiting

Die Investition von Zeit ist bei der Personalgewinnung natürlich auch an ganz anderer Stelle ein grundsätzliches Problem. In der Regel soll es ja immer schneller und digitaler und noch schneller gehen, denn: Wir haben im HR ja keine Zeit! Ein Stück weit geht Marc Muntau da mit: „Wir müssen Prozesslaufzeiten durch neue Technik verkürzen und dadurch Kandidaten zum Beispiel schneller antworten.“ Gleichzeitig will der Personalreferent aber auch langsamer werden: „Fürs eigentliche Recruiting müssen wir uns mehr Zeit nehmen. Deswegen sagen wir den Leuten immer, dass sie gucken sollen, wie der Job wirklich ist und bieten ihnen Hospitationen und Praktika an.“

Bei fünf Bewerbungen jeweils ein Praktikum zu machen, das kann den Jahresurlaub eines Kandidaten der wechseln will, natürlich schnell mal aufbrauchen. Warum es trotzdem funktioniert, weiß Muntau auch nicht so recht: „Es gibt selten Probleme. Die Leute sind gern bereit, diesen Invest zu machen.“

Die Kandidaten haben noch Kerosin im Blut

Weil nach der Krise ja leider auch vor der Krise zu sein scheint, hat man am Flughafen Hannover natürlich auch die aktuellen Entwicklungen im Bereich Umwelt und Klimakrise im Blick. Bei allem Verständnis für Umwelt- und Klimaschutz stellt sich natürlich unter anderem auch die Frage: Wie wirkt sich das politische und gesellschaftliche Geschehen auf die Bewerberzahlen und Vorstellungsgespräche aus?

Ende Januar 2023 war die Situation interessanter Weise wieder genau so, wie vor der Pandemie: Die neue Krise ist in Medienberichten und bei anderen Betrieben zu beobachten. „Wir haben im Moment noch Kandidaten, die uns im Vorstellungsgespräch sagen, sie hätten Kerosin im Blut“, freut sich die Fachbereichsleiterin „People & Culture“ Sandra Ritter.

Heiko Link

Hannover Airport Karriereseite

 

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Über Heiko Link

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Heiko Link ist Journalist und Podcaster, der in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Seine bevorzugte Berichtsform ist die humorvolle Reportage, die er am liebsten über Flugzeug-Selbstbauer schreibt. Baugeschichten und technische Themen begeistern ihn in der Luftfahrt und auch am Boden, beim Hoch- und Tiefbau. Fliegerische Erfahrung hat der Ostwestfale als Drachen-, Gleitschirm- und UL-Pilot gesammelt.

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