Homepage » Luftverkehr » Tuukkaq – Europas grünster Jet

Es gibt heute keinen Lebensbereich, in dem die Folgen des Klimawandels nicht zu spüren sind. Immer neue Krisenszenarien rufen unermüdlich dazu auf, endlich wirksame Lösungen im Kampf gegen die Erderwärmung zu finden. Besonders der Luftverkehr steht im Fokus der Kritik, obwohl er für nur drei Prozent der Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich zeichnet. Doch Flugzeuge sind vielfach unverzichtbar, trotz oft nachhaltigeren Transportmöglichkeiten.

11.05.2023

Air Greenland bedient mit ihrer A330-800 die Strecke zwischen Kangerlussuaq und Kopenhagen täglich. © Ralf Kurz

Die Luftfahrtbranche hat die dringende Notwendigkeit erkannt, umweltschonender zu fliegen, und sucht nach praktikablen Alternativen. Weil die Wasserstofftechnologie und der Batterieantrieb so schnell keinen Durchbruch schaffen, konzentriert man sich auf das Fliegen mit Sustainable Aviation Fuel, kurz als SAF bezeichnet. Dabei handelt es sich um nachhaltig produzierten Treibstoff. Entweder hergestellt aus Bioabfall, oder synthetisch gewonnen aus regenerativen Ressourcen. Solches Biokerosin führt zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 80 Prozent. Auch bei Flugzeug- und Triebwerksherstellern ist die Botschaft angekommen. Der als F-WXWB registrierte Werks-Airbus A350-900 FlightLab führte im April 2021 einen dreistündigen Testflug durch. Beide Rolls-Royce XWB Turbofans liefen mit 100 Prozent SAF einwandfrei. Ein Begleitflugzeug unterstützte das Projekt wissenschaftlich, um exakte Werte bezüglich der erheblich reduzierten Emissionen zu sammeln.

Airbus A330neo der Air Greenland

Jetzt wurde auch die Politik hellhörig. Nach langen Verhandlungen einigte man sich im April 2023 bei den zuständigen Gremien der Europäischen Union auf verbindliche Quoten zwecks der Beimischung zum herkömmlichen Treibstoff. So sollen ab 2025 mindesten zwei Prozent, 2030 schon sechs Prozent, und 2050 bereits siebzig Prozent SAF verwendet werden müssen. Ein äußerst ambitioniertes Vorhaben, wobei völlig unklar ist, wer die benötigten, gewaltigen Mengen eigentlich herstellen soll. Außerdem fehlt noch eine exakte Definition darüber, aus welchen Bestandteilen SAF zukünftig bestehen soll. Alles Punkte mit etlichen Fragezeichen. Momentan ist der biologische SAF doppelt, synthetischer SAF zehnmal teuerer als Kerosin. Trotzdem präsentieren sich viele Airlines schon jetzt als Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Auf vielen Medienkanälen laufen entsprechende Kampagnen in Endlosschleife. Tatsächlich beworben werden meistens immer luxuriösere Bestuhlungsvarianten, in Kombination mit exklusiven Verpflegungskonzepten. Wenn überhaupt, spart man lediglich etwas Plastik ein.

Air Greenland fliegt immer mit SAF-Beimischung

Ausgerechnet Europas kleinster Jetbetreiber katapultiert sich bezüglich Klimaschutz nun in die vorderste Reihe. Air Greenland wird ihren nagelneuen und einzigen Airbus A330-800 ab sofort nur noch mit fünf Prozent SAF-Beimischung betreiben. Dieser Widebody verkehrt täglich auf der Linienroute zwischen Kopenhagen und Kangerlussuaq, dem einzigen Airport in Grönland, auf dem er landen kann. Das Vorhaben wurde ermöglicht durch Kooperation mit DCC+Shell Aviation Denmark, und Neste Finland, einem Marktführer bei der Verwertung von Bioabfall. Die Auslieferung des Airbus A330neo mit grönländischem Namen Tuukkaq, übersetzt „Harpunenspitze“, und dem Kennzeichen OY-GKN, erfolgte am 7. Dezember 2022. Auf dem Flug von Toulouse nach Kangerlussuaq waren, wie bei solchen Anlässen üblich, zahlreiche Journalisten mit an Bord. Das Interesse drehte sich hauptsächlich darum, welcher Unterschied zwischen den 42 Plätzen der Premium Economy Class zu einer sonst üblichen Business Class besteht. Mit jetzt 305 Sitzen packt Air Greenland nun aber 27 Passagiere mehr in den Neuzugang als in das ausgemusterte Vorgängermodell A330-200 gleicher Größe. Jener Jet, registriert als OY-GRN und Namen Norsaq, übersetzt „Speerwerfer“, wartet seit März 2023, nach 21 Jahren Arktiseinsatz, in der Wüste von Arizona auf einen Käufer.

Wegen der erhöhten Bestuhlung errechnet sich nun sogar eine 25-prozentige Reduktion der CO2-Emissionen pro Sitzplatz. Alleinig mittels SAF-Beimischung, ohne Berücksichtigung der sparsamen Rolls-Royce Trent 7000-Triebwerke modernster Technologie. Ein weltweit rekordverdächtiger Wert. Perfekt für Flugreisende mit schlechtem Gewissen bezüglich der Klimabilanz, und deutlich transparenter als mögliche Kompensationszahlungen.

Eigentlich könnte Air Greenland angesichts solcher Zahlen die gesamte Konkurrenz in den Schatten stellen. Weil es aber auf der Route nach Grönland keine Wettbewerber gibt, spart man sich teuere Werbeaktionen. Tuukkaq ist sowieso auf den meistens Flügen ausgebucht. Während der Ferienzeit im Hochsommer müssen regelmäßig Jets anderer Airlines angemietet werden, um die hohe Nachfrage abdecken zu können. Das größte Problem für Air Greenland sind nicht, wie sonst üblich, Konkurrenten, sondern das oft unberechenbare arktische Wetter. Im Juli 2022 kam der gesamte Betrieb für fast eine Woche vollständig zum Erliegen. Damals konnte die restliche Flugzeugflotte, bestehend aus sieben Turboprops vom Typ DHC-8-200 wegen dichten Nebels tagelang nicht starten. Sie fungieren als alleiniger Zubringer von den Siedlungen an der Westküste zum Hub in Kangerlussuaq. Ein Straßennetz außerhalb der Orte existiert nicht, über tausend Passagiere saßen dort fest. Für den August 2022 waren deshalb Neubuchungen nicht mehr möglich, damit der reguläre Linienflugbetrieb schnellstmöglich wieder reibungslos anlief. Ein baldiges Ende solcher Schreckensszenarien verspricht das Jahr 2024. Dann werden in der Hauptstadt Nuuk und dem Touristenmagneten Ilulissat zwei moderne Flughäfen eröffnet, jeder mit einer jettauglichen Runway von jeweils 2.200 Meter Länge.

Die Flüge sind fast immer voll besetzt

Gerne wäre ich als Luftfahrtredakteur beim Auslieferungsflug Ende 2022 dabei gewesen. Glücklicherweise blieb meine Anfrage aber unbeantwortet, was sich nachträglich als Vorteil erwies. Wohl nirgends spürt man den Spirit Air Greenlands besser als im vollbesetzten Tuukkaq, auch wenn ich das Ticket dafür zum Normaltarif selber zahlte. Angesagt waren keine feierlichen Pressetermine am Anfang und Ende der Überführung eines leeren Widebodies. Stattdessen Praxistest der rollstuhlgerechten Toilette, eingebaut auf Kosten einer kleineren Küche in der hinteren Kabine. Bei Routenlängen von vier Flugstunden leicht zu verschmerzen. Einige Tage nach Rückkehr aus dem hohen Norden meldet sich Air Greenland per E-Mail. Wegen der Verspätung auf dem Flug von Kangerlussuaq nach Kopenhagen möchte man sich entschuldigen. Außerdem solle ich auf einer zehnstufigen Skala den Kundenservice darüber bewerten. Ohne Zögern bekam der rührige Carrier dafür die Bestnote. Natürlich war mir nicht entgangen, dass man in Kangerlussuaq auf einen leicht verspäteten Dash 8 Zubringer wartete. Damit eben ein Dutzend Anschlusspassagiere nicht im arktischen Niemandsland strandeten, wurde eine Verzögerung in Kauf genommen. Und wer weiß, vielleicht wartet Air Greenland in Zukunft auch mal auf mich?

Je nach Verfügbarkeit könnte Air Greenland seine derzeitige SAF-Beimischungsquote von fünf Prozent Jahr für Jahr erhöhen. Maximal 50 Prozent sind gegenwärtig erlaubt. Egal, was eine unüberschaubare Anzahl von Akteuren in Brüssel an Kompromissen aushandelt. Selten ohne viele Ausnahmeregelungen über lange Zeiträume verteilt, damit alle Beteiligten zufrieden sind. Auch vor mächtigen, an Rendite orientierten Finanzinvestoren braucht man sich in Grönland, einem letzten Naturparadies des Globus, nicht zu fürchten. Die autonome Regierung der weltgrößten Insel ordnet bei staatlicher Air Greenland einfach an, was globalem Klima gut tut, getreu ihres Mottos: Grüne Zukunft.

Übrigens, der Überführungsflug vom Werk in Toulouse nach Grönland bot die perfekte Gelegenheit, schon mal eine Beimischung von 30 Prozent SAF zu testen. So gesehen können die 56.000 Grönländer auf ihren 260 Millionen US-Dollar teueren Tuukkaq richtig stolz sein!

Ralf Kurz

 

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Über Ralf Kurz

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Mein Name ist Ralf Kurz und ich wurde 1958 in München geboren. Seit der Kindheit fasziniert mich die Fliegerei. Meinen Traumjob, Pilot zu werden, konnte ich nicht realisieren. Nebenberuflich arbeite ich als freier Luftfahrtjournalist. In den letzten drei Jahrzehnten wurden über 90 Artikel und Reisereportagen in deutsch- und englischsprachigen Fachmagazinen von mir publiziert. Schwerpunkt sind dabei kleinere Airlines in exotischen Ländern, welche bei uns unbekannt sind. Zudem bin ich Mitglied der deutschen Sektion von MAF, einem christlichen Flugdienst, der rund 120 Kleinflugzeuge in 27 Staaten betreibt. Zwecks Erstellung von Fotoreportagen über unsere MAF-Projekte führten mich Reisen nach Amazonien, Angola, Bangladesch, Lesotho, Madagaskar, Mosambik, Mongolei, Neuguinea, Osttimor, Suriname und Uganda. Alles geschah auf eigene Kosten in meiner Freizeit, verwendet wird ausschließlich selbst erstelltes Fotomaterial.

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